Die große Tour: Von Flingern nach Argentinien mit dem Rad

Ein Pärchen wagt den Ausbruch auf Zeit und radelt knapp 15 000 Kilometer weit.

Düsseldorf. Aus dem Alltag ausbrechen, ferne Länder bereisen, ein Leben ohne Zwänge; davon träumen viele, doch die wenigsten wagen diesen Traum zu leben. Lena Kleine-Kalmer (30) und Hardy Handel (33) haben es gewagt und sich aufs Fahrrad gesetzt, um die Welt zu entdecken. Von Düsseldorf nach Buenos Aires in 16 Monaten, vom Herrmannplatz zur Plaza de Mayo — mit einem kurzen Zwischenstopp bei Hardys Oma in Rumänien.

„Das Fahrrad hat uns viele Türen geöffnet“, sagt Handel, „es hat die Menschen neugierig auf uns gemacht.“ Respekt hatten sie vor den geistigen und körperlichen Strapazen. Ein 5000 Meter hoher Andenpass ist etwas anderes als der Grafenberger Höhenweg, und die Durchquerung einer Salzwüste mit nichts zu vergleichen. Auf eine harte Probe stellte sie auch das kulinarische Abenteuer Südamerika.

Die Chunyo, die nach alter Inka-Tradition dehydrierte Kartoffel, war zwar modrig, aber essbar. Gebratene Schweinenasen und Eutersuppe waren da schon ganz andere Kaliber. Für deutsche Streichelzoobesucher weitgehend unvorstellbar: In Bolivien gehört Lamafleisch zu jedem Essen dazu. Und es gilt als eine der gesündesten Fleischsorten überhaupt, nur Alpaca sei besser. Viele Bolivianer schwören übrigens, wegen des Lamafleisches bis zu 120 Jahre alt zu werden.

Überall auf ihrer Reise trafen sie herzliche Menschen, doch am meisten überrascht waren sie von dem Land mit dem schlechtesten Ruf: Kolumbien. Die Leute waren fasziniert von den Radlern, die sich aus Deutschland in ihr „verrufenes“ Land aufgemacht hatten. Schwierigkeiten bekamen sie höchstens, wenn sie ihr Essen selbst bezahlen wollten. Meist hieß es lapidar: „Ihr braucht nicht zu bezahlen, die Leute, die da gerade wegfahren, haben euch eingeladen“, erinnert sich Handel.

Dabei stand schon die Überfahrt nach Kolumbien unter keinem guten Stern. „Du willst nach Kolumbien? Hier, sprich mit der Mafia“, wurde Hardy ein Kapitän vorgestellt, dessen Haupeinnahmequelle ganz offensichtlich im Drogenschmuggel lag — die Extremradler entschieden sich für einen gesetzeskonformeren Seemann.

Die anschließende Überfahrt in einer Nußschale ohne Dach über dem Kopf geriet zum Alptraum — strömender Regen von oben, Meerwasser von der Seite, ein Motorschaden an Land und spritlos auf dem offenen Meer treiben inklusive.

Aber die schlimmste Prüfung sollte noch kommen — ausgerechnet auf der schönsten Etappe: der bolivianischen Lagunen- und Wüstenroute. Elf Tage permanent zwischen 4000 und 5000 Metern Höhe, bei Minusgraden und eisigem Gegenwind, der ihnen oft keine Wahl ließ, als die Räder durch die vegetationslose Vulkanlandschaft zu schieben.

Eine Etappe, die beide an ihre körperlichen und psychischen Belastungsgrenzen brachte. Und darüber hinaus. Für Lena endete sie mit einem Zusammenbruch. „Es war nicht die Angst, dass ich es nicht überleben werde. Es war einfach die absolute Erschöpfung“, sagt sie. „Du wünschst dir einfach nur, irgendwo anzukommen, aber diesen Ort gibt es nicht“, ergänzt Hardy, was beide fühlten.

Nach 16 Monaten — geplant waren zwölf — und 14 600 Kilometern wurde es Zeit für die Rückkehr. Der Abschied in Buenos Aires fiel schwer. „Aber für mich stand fest — auch wenn wir noch ein Jahr länger gefahren wären — ich brauchte jetzt einfach einen Monat zu Hause“, sagt Lena.

Der Wunsch, die Freunde zu besuchen, das neugeborene Patenkind zum ersten Mal zu sehen, wurde jetzt immer stärker. Hardy dagegen wäre am liebsten gleich weiter gefahren — erst bis ans Ende von Feuerland und dann weiter auf dem nächsten Kontinent.

Die Reise hat beide verändert. Sie hat Spuren hinterlassen — auch bei den Menschen, denen sie begegnet sind. Mut hat ihnen die Erkenntnis gegeben, dass 99 Prozent aller Menschen, die sie kennengelernt haben, ihnen freundlich gesinnt waren. Aber vor allem: „Wir haben vor nichts mehr Angst. Es gibt für alles eine Lösung, das haben wir unterwegs festgestellt“, sagt Handel.

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