Ein Jahrhundert Industrie-Club

Vom Ort des Rückzugs für Wirtschaftsgrößen hat sich der Club zu einer Veranstaltungsstätte entwickelt.

Düsseldorf. Albrecht Woeste kann sich genau an die Zeit erinnern, als er die Leitung der Schmiede seines Vaters Ende der 1960er Jahre in Bilk übertragen bekam. „Jeder, der solch eine Möglichkeit hat, will natürlich die Geschäfte führen. Aber wenn man dann der Chef ist, fühlt man sich unheimlich allein“, erklärt der Vize-Vorsitzende des Industrie-Clubs heute.

Die Angst, Fehler zu machen oder als Entscheidungsträger Schwächen zu zeigen, werde aber von vielen Gleichgesinnten geteilt. Ein Ort, an dem viele von ihnen seit 100 Jahren zusammenkommen, ist der Industrie-Club an der Elberfelder Straße.

Dort trat der heute 76-Jährige damals ein. Er fand Antworten auf seine Fragen und konnte seine Geschäftspartner dort empfangen. „Wir hatten damals in unserer Firma keinen Raum, wo wir Kunden empfangen konnten.“

Auch Vorsitzender Joachim Scheele beschreibt den Verein in seinen Anfängen als „Ort für Begegnungen, privater oder geschäftlicher Art. Hier konnten Dinge besprochen werden, die nicht jeder hören sollte.“

Ausschlaggebend für den Standort war die Entwicklung des produzierenden Gewerbes in der Region. Und mitten drin: Der „Schreibtisch des Ruhrgebiets“, wie die Landeshauptstadt gerne symbolträchtig bezeichnet wird.

„Düsseldorf bekam die wirtschaftlich großen Verbände und Messen“, erläutert Scheele. Zur Gewerbe- und Industrieausstellung rund um den heutigen Museum Kunstpalast im Jahre 1902 kamen fünf Millionen Menschen.

In diesem Milieu entwickelte sich das Zentrum des Düsseldorfer Wirtschaftslebens: Neben dem Parkhotel, in dem die Mächtigen aus Wirtschaft und Politik speisten und nächtigten, wurde der Industrie-Club als Kommunikations- und Rückzugsort aus der Taufe gehoben — im Jahre 1912. Erster Vorsitzender ist Wilhelm Marx, der kurz zuvor Oberbürgermeister von Düsseldorf war.

1162 Redner kamen an die Elberfelder Straße — auch Adolf Hitler war 1932 darunter, um bei der Industrie für Unterstützung zu werben. Das Kapitel ließen die Verantwortlichen des Industrie-Clubs in den 1990er Jahren von einem Historiker aufarbeiten und dokumentieren.

Andere Redner werden lieber auf der Gästeliste geführt: Adenauer, Brandt, Schmidt, Merkel, Cohn-Bendit, Cragg — und Gorbatschow. „Das ist ein Mann, der Geschichte geschrieben hat“, sagt Albrecht Woeste und liefert damit ein Paradebeispiel für den Grundgedanken der Reden im Hause. Scheele: „Es sollen Denkweisen ermutigt werden, die im hohen Maße demokratiefördernd sind.“

Die heute 1200 Mitglieder, die noch zu 43 Prozent aus herstellenden Betrieben kommen, hätten sich den Zielen Offenheit, Toleranz und Verantwortung verschrieben. Und das soll im Wesentlichen durch 70 bis 80 Vorträge im Jahr erreicht werden. Veranstaltungen ist laut Scheele heute die Kernaufgabe des Clubs.

Wer Mitglied werden will, muss Empfehlungen von drei Mitgliedern einreichen, die fünf Jahre dabei sind. Aber auch eine Referenz aus einem anderen Bereich wird gerne gesehen.

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