Interview mit Bastian Fleermann: "Die Menschen gehen offener mit der Vergangenheit um"

Seit zwei Jahren ist das Museum der Mahn- und Gedenkstätte geschlossen. Dennoch ist sie in der Stadt sehr präsent.

Düsseldorf. Seit mehr als zwei Jahren ist die Mahn- und Gedenkstätte geschlossen. Wie hält man ein Museum am Leben, das in der Öffentlichkeit nicht präsent ist?
Bastian Fleermann: Wir haben nicht wirklich geschlossen, nur der Ausstellungsbereich kann nicht gezeigt werden. Aber durch dreidimensionale Ausstellungsstücke, die das Auge anregen, haben wir nie geglänzt. Der Schwerpunkt unserer Arbeit lag und liegt auch heute noch in der Dokumentation.

Und das Archiv ist gemeinsam mit der Verwaltung auf die andere Straßenseite in die Mühlenstraße 6 gezogen. Dort läuft der gesamte Bereich von Forschung und Dokumentation weiter und wird sehr rege von Interessierten nachgefragt. Allein im vergangenen Jahr haben wir mehr als 13 000 Menschen mit unseren Angeboten erreicht.

Für ein Haus ohne Museum ist das eine stattliche Leistung. Wie haben Sie das erreicht?
Fleermann
: Wir arbeiten auf zwei Ebenen. Das ist einmal die wissenschaftliche Arbeit im Haus, die auch früher eher hinter den Kulissen stattfand. So hat meine Vorgängerin Angela Genger Hunderte von Interviews mit Zwangsarbeitern und Emigranten geführt. Außerdem haben wir einen großen Schatz an Briefen, Tagebüchern und Nachlässen. Dank dieses Sammelfleißes können wir aus dem Vollen schöpfen.

Um das optimal zu nutzen, sind wir im Augenblick dabei, unser Papier-, Bild- und Tonarchiv digital zu erfassen — eine wahre Sisyphus-Arbeit. Zudem erreichen uns fast täglich Anfragen, die die NS-Zeit betreffen. Dabei geht es nicht immer um das Schicksal von Verfolgten. Auch wenn auf dem Dachboden die HJ-Uniform des Großvaters gefunden wurde, wendet man sich häufig an uns. In den Düsseldorfer Kellern schlummern noch viele Schätze.

Was empfehlen Sie, wie man diese heben soll?
Fleermann: Glücklicherweise gehen die meisten Menschen nach zwei Generationen offener mit der Vergangenheit um. Die Angehörigen bringen uns Briefe und Tagebücher, teils als Nachlass, teils, damit wir sie kopieren können. Wir haben über 10 000 Fotos von Privatleuten. Für uns ist es wichtig, dass diese Hinterlassenschaften an einem zentralen Ort archiviert werden.

Denn Zeitzeugen, die uns mitteilen können, wer an welcher Straße gelebt hat, werden weniger. Aber manchmal hat man Erfolgserlebnisse, z.B. wenn jemand aus Amerika kommt, sich alte Fotos ansieht und dann ganz spontan sagt: „Das ist ja der und der.“ So fügen sich Puzzleteile zusammen.

Das ist aber wohl nur der stillere Teil ihrer Arbeit. Damit erreicht man keine 13 000 Menschen.
Fleermann: Natürlich nicht. Ein Standbein unserer Präsenz sind neben der Bildungsarbeit in Schulen die monatlichen Stadtrundgänge. Diese werden immer beliebter. Im letzten Jahr mussten wir eine Führung abbrechen, weil zu viele Menschen mitmachen wollten.

Man kann mit 20 Teilnehmern durch die Altstadt gehen, aber nicht mit 120. Zudem haben wir in den letzten zwei Jahren wichtige Denkmalinitiativen umgesetzt: 2011 wurde der Weg der Befreiung eingeweiht, 2012 das große Mahnmal auf dem Güterbahnhof in Derendorf. In diesem Jahr gibt es viele weitere Gedenkveranstaltungen, die mit dem 75. Jahrestag des Novemberprogroms enden.

Und wenn Sie doch mal etwas ausstellen wollen?
Fleermann: Dann kooperieren wir mit anderen Einrichtungen. Im letzten Jahr haben wir gemeinsam mit dem Stadtmuseum eine Ausstellung jüdischer Kinderbilder gezeigt, in diesem Jahr gibt es gemeinsam mit dem Maxhaus eine Ausstellung über Anne Frank. Parallel dazu arbeiten wir an einem Konzept für eine neue Ausstellung, die im umgebauten Stadthaus gezeigt werden soll. In ihr werden Düsseldorfer Kinder und Jugendliche aus der NS-Zeit im Mittelpunkt stehen. Und zwar nicht nur jüdische Kinder, sondern aus der ganzen Gesellschaft.

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