Jüdisches Leben nach der Shoa

Stadtmuseum dokumentiert Entwicklung des Düsseldorfer Judentums seit 1945.

Jüdisches Leben nach der Shoa
Foto: David Young

Düsseldorf. Eine Frau sitzt am Schreibtisch, Zigarette im Mundwinkel, Finger auf den Tasten — der Film im Stadtmuseum könnte in jeder deutschen Zeitungsredaktion der 1950er Jahre gedreht worden sein, wo sich Journalisten langsam wieder an die publizistische Freiheit gewöhnen. Die Szene ist Ausdruck einer neuen Kulturepoche und in diesem speziellen Fall von existenzieller Bedeutung. Der Schwarzweiß-Streifen wurde in der Redaktion des „Jüdischen Gemeindeblatts für die Nord-Rheinprovinz und Westfalen“ gedreht, deren erste Ausgabe 1946 erschien. Die Zeitung hatte ihren Sitz in der Zietenstraße und wurde von Karl Marx und seiner Frau Lilli herausgegeben. Das jüdische Ehepaar hatte sich entschlossen trotz Verfolgung und Ermordung ihrer Familien nach Deutschland zurückzukehren und von Düsseldorf aus die Welt für ihre jüdischen Leser nachrichtlich zu ordnen. Aus dem „Jüdischen Gemeindeblatt“ ging die „Jüdische Allgemeine“ hervor, sie ist heute die bedeutendste Wochenzeitung des deutschen Judentums.

Das Ehepaar Marx gehört zu einer überschaubaren Anzahl Juden, denen Düsseldorf die Wiederbelebung jüdischen Lebens zu verdanken hat. Dessen Entwicklung nach 1945 wird in der neuen aufschlussreichen Ausstellung „Von Augenblick zu Augenblick“ im Stadtmuseum nachgezeichnet. Die Kuratoren schlagen einen Bogen von der Gründung der jüdischen Gemeinde 1945 durch 57 Überlebende der Shoa bis hin zu dem heute regen Schul- und Kulturleben der Gemeinde, welche nach Berlin und Frankfurt mit rund 7000 Mitgliedern die drittgrößte jüdischen Gemeinde Deutschlands ist. In der Ausstellung selbst treten Zahlen glücklicherweise hinter den Lebensgeschichten Einzelner zurück. Filme bringen aktuelle Interviews mit Juden, die von dem berichten, was ihnen die Ankunft in Düsseldorf erschwert hat und die sagen, warum sie trotzdem geblieben sind. Auf Fotos nehmen längst verschwundene Spuren jüdischen Lebens im Straßenbild wieder Gestalt an, erhalten von den Nazis zerstörte Geschäfte ihren alten Platz in der Stadt zurück. Junge Gemeindemitglieder werden porträtiert, aber auch antisemitische Anfeindungen dokumentiert, beleidigende Briefe abgebildet. Deren Anzahl hat in der jüngsten Zeit leider wieder zugenommen.

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