Ballerina mit 46 — ein Leben für den Tanz

Christine Jaroszewski war Tanzpartnerin von Martin Schläpfer. Heute ist er ihr Chef, denn sie ist Mitglied des Balletts am Rhein.

Ballerina mit 46 — ein Leben für den Tanz
Foto: G. Weigelt

Düsseldorf. Christine Jaroszewski ahnt noch nichts von ihrem Gespür für Poesie, als sie auf dem Küchenstuhl einen Schwan mimt. Sie ist sechs Jahre alt und spitzt immerzu die Ohren, ob nicht von irgendwoher eine Melodie ertönt, um sie davonzutragen in ein Zauberreich, wo sie sich drehen, wo sie hüpfen und springen kann. Fürs Erste jedoch muss die elterliche Wohnung genügen. Musik gibt es dort genug, nur die Möbel stören. Dann sieht sie Schwanensee im Fernsehen und steigt auf den Küchenstuhl.

Ballerina mit 46 — ein Leben für den Tanz
Foto: GW

„Ich habe früh den Fokus auf den Tanz gelegt“, sagt Christine Jaroszewski. Kerzengerade sitzt sie im Aufenthaltsraum des Balletthauses in Niederkassel, wo die Tänzer von Martin Schläpfer noch bis Sommer trainieren. Im Juli ziehen sie um, nach Bilk in das neue Probenzentrum.

Es ist Mittagspause. Für das Interview hat sich Christine Jaroszweski umgezogen und trägt ein schwarzes Strickkleid. Die strenge Farbe vermag ihrer Anmut nichts anzuhaben. Sie lächelt. „Viele glauben mir mein Alter nicht.“ Die US-Amerikanerin ist mit 46 Jahren das älteste Mitglied der Compagnie des Balletts am Rhein. Als Martin Schläpfer ihr 2011 beim Training zusieht, ist er beeindruckt. „Man, bist du in Form.“

Die Beiden kennen sich ewig. Christine Jaroszewski ist 16 Jahre alt, als der Schweizer Starchoreograph Heinz Spoerli sie 1985 nach Europa an sein Ballett Basel holt. Martin Schläpfer tanzt dort als Solist und wird von den Zuschauern gefeiert. Mit ihrer Mutter schaut Christine Jaroszewski „La fille mal gardée“ und „Lunaire Pierrot“ an. „Martin bewegte sich wie eine Katze. Er sprang kraftvoll und zugleich sanft. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Wir saßen im Publikum und weinten.“

Doch Basel setzt ihr zu. Das 16 Jahre alte Talent braucht einen Mentor, der das Potenzial zum Reifen bringt und es kultiviert. Dafür ist Zeit nötig, aber Spoerli hat keine Zeit. Er will Erfolg. Sofort.

Nach nur eineinhalb Jahren wechselt die junge Tänzerin nach Zürich zu Uwe Scholz. Anders als Spoerli ist er einfühlsam, eher nach innen gekehrt und hochmusikalisch. Er lehrt Christine Jaroszewski alles, was es über Tanz zu wissen gibt.

Wie er sich oben auf der Bühne anfühlen muss, damit er den Menschen unten im Saal die Tränen in die Augen treibt. Uwe Scholz lehrt sie Poesie. „Wenn Uwe choreografierte, war ich verliebt“, sagt sie. „Er machte aus der Compagnie und dem Orchester einen Körper. Uwe war eine Inspiration.“ Als Scholz 1992 Direktor des Balletts in Leipzig wird, geht sie als seine erste Solistin mit ihm. Aber sie fühlt sich einsam dort.

Zu Martin Schläpfer hält sie Kontakt. Er hat Basel mittlerweile verlassen und die Leitung der Tanzsparte am Theater Bern übernommen, wo er klassischen, aber auch Musical-Tanz choreografiert. „Du willst als klassische Ballerina nach Bern kommen?“ wundert er sich, als Christine Jaroszewski ihm sagt, dass sie am liebsten aus Leipzig fortgehen möchte.

Dann ist sie da. Fühlt sich wie in einer Familie. Die Compagnie ist klein, der Chef muss einspringen, wenn einer seiner Tänzer ausfällt. Zwei Mal tanzt sie mit Martin Schläpfer. „Er ist einer meiner besten Partner gewesen. So achtsam. Ein echter Gentleman.“

Und dann kommen die langen Jahre, in denen sie sich in dem Bedürfnis verliert, ganz und gar für einen anderen Menschen da zu sein. Mit ihrem Ehemann reist sie nach Indien. Er will dort leben, sie versucht es. Sie widmen sich zeitgenössischen Tanzprojekten und unterrichten. Christine Jaroszewski vertieft ihre Yoga-Kenntnisse. Ihr Gleichgewicht jedoch findet sie in den fünf Jahren in Indien nicht.

2011 geht sie zurück nach Europa, trennt sich von ihrem Ehemann und will ihrem Dasein wieer eine Struktur geben. Eine Struktur nach ihrer Façon. Ihr Weg führt sie dabei nach Düsseldorf zu Martin Schläpfer. Einen festen Plan hat sie nicht. „Als ich im Balletthaus stand, kam Anne Marchand aus der Compagnie auf mich zu und strahlte mich an“, erzählt Christine Jaroszewski. Die Frauen kennen sich aus Bern. Anne Marchand drückt Christine Jaroszewski ein Trikot von sich in die Hand. „Morgen gibt es ein offenes Training. Du kommst doch?“ Als sie am nächsten Tag in Schläpfers Büro sitzt, fragt er sie: „Warum bist du wirklich hier? Willst du noch mal tanzen?“ Erst jetzt wird ihr klar, wie furchtbar es war, sich zu versagen, den Tanz zu vermissen. „Ich hatte in Indien eine Ballettstange in der Küche. Daran habe ich trainiert.“

Im September wird Christine Jaroszewski 47 Jahre alt. Seit fast vier Jahren ist sie Mitglied in der preisgekrönten Compagnie des Balletts am Rhein. Vor wenigen Wochen hat sie zum zweiten Mal geheiratet. Nach der Poesie hat sie gelernt, was Zuversicht bedeutet. „Wie es weitergeht, wird sich finden. Mein Weg wird von alleine klar.“

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