Der Zahn in der Suppe der Stewardess

Theater: Roland Schimmelpfennigs „Der Goldene Drache“ als konzeptionell überfrachteter Theaterabend am Schauspielhaus.

Düsseldorf. Die Mauer reicht bis zum Schnürboden. Da ist kein Durchkommen. Noch nicht mal mit dem Blick. Ein paar Fische ziehen ihre Bahn über die abweisende Mauerfläche, in der Türen und milchige Fenster erkennbar sind (Bühne: Ralf Käselau). Nur ein Tontechniker werkelt in einer gläsernen Kabine und serviert Roland Schimmelpfennigs Stück „Der goldene Drache“ in Düsseldorf zunächst als Hörspiel.

Dieses Hörspiel wird auf der anderen Seite der Mauer, wo ebenfalls Zuschauer sitzen, produziert. Dort stehen, wie man später erkennt, fünf Darsteller an Stehpulten und spielen Hörspiel-Machen, vorne spielen sie gelegentlich eine Szene. Es geht also um das Konstruierte der Bilder, die wir uns von einem Stück, einem Theaterabend, aber auch von uns und von anderen machen.

Geht es darum auch bei Roland Schimmelpfennig? Sein bei den Mülheimer Theatertagen preisgekröntes Stück ist eigentlich eine Fragmentensammlung über ein schweres Thema, das leicht wie ein surreal-poetisches Hirngespinst daherkommt. In einem Asienimbiss arbeitet ein junger Mann, genannt der Kleine, der an unerträglichen Zahnschmerzen leidet. Und weil er illegal im Land ist, wird mit der Rohrzange operiert. Folge: Tod durch Blutverlust. Der Zahn aber landet in der Suppe einer Stewardess, die ihn interessiert mit nach Hause nimmt. Diese beiden Basicstories verwebt Schimmelpfennig mit der brutal zugespitzten Parabel von der Ameise und der Grille und vielen Miniaturen von der Trennung eines Paares, einem Ladenbesitzer und seiner asiatischen Sexsklavin oder einem Großvater und seiner Enkelin. Drastisch-zarte Unglücksgedichte, die die Regisseurin Anna-Sophie Mahler im Kleinen Haus in ein wuchtiges logistisches Konzept zwingt — und dabei das Stück in seine Einzelteile zerlegt.

Da sieht man Helene Thiemig mit dem Regenmacher-Klangrohr, danach erzählt sie das Märchen von der Ameise und der Grille auf der anderen Seite. Nadine Geyersbach nölt mit Bierflasche als Mann mit gestreiftem Hemd, um dann wieder Tassen klappern zu lassen.

Es ist ein ständiges Hin und Her zwischen den Bühnenseiten. Wenn die Mauer endlich transparent wird, sieht man wiederum Ilja Niederkirchner im Grillenkostüm Seifenblasen fangen. Es gehört zu den Qualitäten des Stücks, dass es jeden Realismus verweigert und das Spielen selbst thematisiert, wenn Alte auch Junge, Frauen auch Männer darstellen. Wenn in Düsseldorf allerdings sich Rainer Galke und Winfried Küppers komplett als Stewardessen verkleiden, bleibt davon nur noch die billige Travestie.

Erst als sich die Mauer hebt und Nadine Geyersbach als der Kleine erzählt, wie sein toter Körper von der Brücke fällt und er durch die Meere zurück nach Hause schwimmt, blüht der Text plötzlich auf und lässt Bilder entstehen. Da sind 70 von 75 Minuten vorbei, die sich am Ende wie fünf Stunden anfühlen.

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