Kultur Festival Westwind: „Bei uns braucht man kein Alibi-Kind“

Theater für junges Publikum zeigt ab Dienstag das Festival Westwind. Spannend auch für Erwachsene, erklärt Dramaturgin Judith Weißenborn.

Kultur: Festival Westwind: „Bei uns braucht man kein Alibi-Kind“
Foto: A. Koehring/Junges Schauspielhaus

Düsseldorf. Gutes Theater ist Geschmackssache, über bemerkenswertes Theater kann man streiten oder sich begeistern. Um das zu tun, kommen von Dienstag bis zum 3. Juni im Jungen Schauspielhaus, Central am Hauptbahnhof, FFT und Tanzhaus Theatermacher und Zuschauer zum Westwind Festival zusammen.

Das 31. Theatertreffen NRW für junges Publikum geht an fünf Spielstätten über die Bühne, eingeladen sind zehn Produktionen aus NRW. Prämiert werden sie von Fachleuten und einer Publikumsjury, in der acht Mitglieder im Alter von acht bis 88 Jahren vertreten sind. Bemerkenswertes Theater ist für alle Generationen, erklärt Dramaturgin Judith Weißenborn, die für das Junge Schauspielhaus Stücke für den Wettbewerb ausgewählt hat.

WZ: Frau Weißenborn, was ist ein gutes Stück?

Judith Weißenborn: Schwierige Frage. Wir haben in der Jury lange darüber diskutiert, was für uns bemerkenswert heißen soll.

Mit welchem Ergebnis?

Weißenborn: Westwind ist ja auch ein Arbeitstreffen, bei dem sich Experten Stücke anschauen. Dabei geht es nicht um „best-practice“-Beispiele, sondern um Ansätze, die das Kinder- und Jugendtheater voranbringen.

Was sind wichtige Trends?

Weißenborn: Viel diskutiert wird, ob es überhaupt einen Unterschied macht, für junges Publikum zu produzieren. Ich würde mal behaupten, dass die Zielgruppe nicht im Fokus stand für die Macher. Sie alle haben Themen, die sie relevant finden.

Was sind denn diese bemerkenswerten Themen?

Weißenborn: Uns ist aufgefallen, dass man sich beim Theater für die Allerkleinsten über Material annähert, und über die Präsenz der Darsteller auf der Bühne erzählt — und nicht vorrangig über eine Geschichte.

Gibt es das an Ihrem Haus?

Weißenborn: Ja, in „Irgendwie Anders“ für Kinder ab vier Jahren ist das der Sand. Es entstehen Bilder, die mit dem Körper des Darstellers und dem Material anregen. Auch mit Musik und Tanz. Das Verstehen läuft über eine emotionale Schiene.

Und für ältere Zuschauer?

Weißenborn: Viele Theater haben sich bei den Klassikern bedient. Es geht zum Beispiel darum, was ein Stück wie „Wilhelm Tell“ heute noch spielbar macht.

Schüler gehen vor allem ins Theater, wenn das Stück im Abitur vorkommt. . .

Weißenborn: Ich habe viele Workshops mit Jugendlichen gemacht. Bei der Frage, wie findest du Theater, haben die gesagt: Das ist langweilig. Oder: Shakespeare finde ich doof. Man muss ihnen auseinanderdröseln, dass „Macbeth“ ein Material ist, das man bearbeitet, und jede Inszenierung anders ist.

Für viele ist das so genannte Regietheater ein rotes Tuch.

Weißenborn: Natürlich kann man den Originaltext belassen. Das finde ich oft gerade toll. Wir haben etwa beim „Kreidekreis“ eine 800 Jahre alte Sage und eine poetische Sprache von 1925. Wir wollen vermitteln, dass es verschiedene Theaterformen gibt.

Der erste Schritt ist doch, wie bekommt man sie ins Theater. . .

Weißenborn: Über Themen. Wir sind eng im Kontakt mit Lehrern und Erziehern in der Stadt. Manches ist allgemeingültig für Kinder und Erwachsene — wie etwa Ausgeschlossensein oder Inklusion. Wir fahren gut damit aufzuzeigen, wo die Relevanz unserer Stücke liegt.

Was finden Kinder und Jugendliche an diesem Sehnsuchtsort, wie Sie Ihr Theater im neuen Programmheft nennen?

Weißenborn: Es werden noch einmal andere Welten eröffnet als in einem Buch. Man kommt aus einer Realität und trifft auf eine andere Realität, das arbeitet in den Kindern, darüber diskutieren sie tagelang.

Kommen Kinder damit klar, dass sich jemand auf der Bühne eine Perücke aufsetzt und behauptet, er sei ein anderer?

Weißenborn: Besser als Erwachsene. Es ist sehr nah an ihrem eigenen Spielprinzip.

Was ist dann der Sehnsuchtsort?

Weißenborn: Hier werden Sehnsüchte, die man hat, stellvertretend verhandelt. Die fantastischen Welten eines Seefahrers etwa. Für uns ist es zudem ein Begegnungsort, an dem man im Gespräch nach dem Stück über eigene Sehnsüchte reden kann.

Das Junge Schauspielhaus ist zurzeit sehr gut besucht. Was sind Ihre Stärken?

Weißenborn: Die Themen sind breit gefächert und aktuell. Wir machen politisches Kinder- und Jugendtheater, wagen uns aber auch an Märchen ran. Wir entwickeln uns weiter in die Richtung, was in der Stadt los ist. Da ist noch viel Potenzial. Und zu uns kann man auch als Erwachsener kommen und braucht kein Alibi-Kind dabeizuhaben.

Ist das Festival für Besucher geöffnet?

Weißenborn: Es gibt für viele Vorstellungen noch freie Plätze für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Wir haben ein Festivalzentrum im Tanzhaus NRW, da kann jeder gerne mal vorbeikommen.

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