Schauspielhaus: Camus’ „Die Gerechten“

Der Regisseur Michael Gruner bringt Camus’ „Die Gerechten“ kopflastig und ohne aktuellen Zündstoff im Großen Haus auf die Bühne.

Schauspielhaus: Camus’ „Die Gerechten“
Foto: S. Hoppe

Düsseldorf. Eine Gruppe von Attentätern will 1905 den Großfürsten Sergei ermorden. Mit einer Bombe — gal, ob sie dabei gefasst werden und ihr eigenes Leben riskieren. Denn der Großfürst repräsentiert für die sozialrevolutionäre Terrorzelle Zwangsherrschaft und Unterdrückung, von der sie die Menschen endlich befreien wollen. Doch der 27-jährige Janek zögert, die Bombe in die Fürsten-Kutsche zu werfen, da darin auch zwei Kinder sitzen. Der gerade aus dem Zuchthaus entlassene Stepan kennt indes keine Grenzen. Und so entzündet sich in dem Drama „Die Gerechten“ von Albert Camus ein Streit über den richtigen Weg. Und um die Frage: „Wann und unter welchen Umständen darf man einen Zwangsherrscher töten?“

Ein packendes Sujet, das der Philosoph und Literat Camus 1949 in seinem Theaterstück behandelt, und das angesichts von IS-Terrorwelle und Selbstmordattentätern im Irak aktueller denn je zu sein scheint. Kaum etwas davon spürt man indes in dem Kopftheater von Michael Gruner, das jetzt Premiere im Großen Haus feierte. Dem fast 70-jährigen Regisseur geht es nicht um Aktualisierung, sondern, wie er sagt, um einen Blick zurück der 68er. Deshalb entschied er sich für Schauspieler der Generation Siebzig Plus, die den Mord am Fürsten planen und vom romantischen Schwärmer Janek durchführen lassen.

Im Programmheft werden die Revolutionäre zwar als junge Kämpfer im Alter von 19 bis 27 vorgestellt. Doch da hocken zunächst die Fünf im Rentenalter. Die ergrauten Herren und Marianne Hoika mit feuerrot gefärbten Haaren beweisen, dass sie rüstig sind und mit markanten Stimmen den zeitlosen Camus-Text in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel vortragen können. Doch von aufschäumender Leidenschaft, jugendlicher Glut oder rigoroser Schärfe, die keinen Widerspruch duldet, vermitteln sie in dieser pausenlosen 90-Minuten-Inszenierung, die an ein Hörspiel erinnert, nur selten etwas. Besonders langatmig wirken die ersten Dialoge auf fast leerer Bühne (Michael Sieberock-Serafimowitsch).

Erst wenn dem Quintett die Tat beim zweiten Anlauf gelingt und Janek im Gefängnis auf den Henker wartet, gewinnen die Typen an Konturen. Der Bombenwerfer Janek (Michael Abendroth), der immer noch Liebe zu Dora empfindet, zweifelt und zögert, unschuldige Kinder und die Großfürstin bei dem Bombenanschlag zu opfern. Oder Stepan (Wolf Aniol), ein kaltblütiger Terrorist, für den Revolution und Befreiungs-Mord wichtiger sind als Mitmenschlichkeit und Liebe. Daneben der Organisator Boris (Reinhart Firchow), der zynisch und scheinbar gefühllos das schwächste Glied der Terrorzelle zum Attentäter kürt. Oder Phrasendrescher Boris in Cordhose (Andreas Weissert), der, wenn’s drauf ankommt, immer anderweitig beschäftigt ist.

All’ diese Charaktere bringen die betagten Mimen zwar über die Rampe. Schwer vorstellbar bleibt jedoch, dass ausgerechnet sie eine blutige Revolution anzetteln. In das Klischee der Camus-Zeit passt zudem, dass die einzige Frau Dora (Marianne Hoika) ihre Emotionen herausschreit, nach dem Sinn des Terrors fragt und um den Mann trauert, der im Gefängnis die anderen nicht verrät und deshalb gehängt wird.

Für Zündkraft und Spannung sorgt der Auftritt der Großfürstin, die den inhaftierten Attentäter zur Rede stellt und nicht versteht, warum er sie verschont hat. Louisa Stroux mit jugendlich dramatischem Temperament brilliert in dieser Rolle — ähnlich wie Dirk Ossig als Polizeivorsteher, der Janek die Freiheit verspricht, wenn er die Namen der Hintermänner preisgibt. Bei den beiden spürt man, wie stark das Stück in altersgerechter Besetzung wirken könnte. Am Ende: freundlicher Beifall.

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