Schauspielhaus: Iphigenie auf schwankendem Boden

Gute Schauspieler und eine elegante, etwas glatte Inszenierung lassen viel Raum für Goethes Sprachgewalt.

Schauspielhaus: Iphigenie auf schwankendem Boden
Foto: Sebastian Hoppe

Düsseldorf. Iphigenie streckt die Zunge raus, sie verdreht die Augen und schüttelt ihren Kopf, als könne sie so ihre Sicht klären. Was soll ihr Tun leiten? Aus Liebe zum Bruder Orest den Herrscher Thoas, der sie ehrt, achtet und begehrt, hintergehen? Oder darauf vertrauen, dass Wahrheit und Menschlichkeit eine Stimme haben, die jeder hört?

In gut eineinhalb Stunden wird Goethes „Iphigenie auf Tauris“ unter der Regie von Mona Kraushaar jetzt im Großen Haus am Gründgens-Platz verhandelt. Nicht viel Zeit für den allumfassenden Bogen, den dieses Schauspiel schlägt. Doch Zeit genug, um die geradlinige, etwas glatte Inszenierung, fünf überzeugende Schauspieler und eine elegante Bühneneinrichtung genießen zu können.

Iphigenie schwebt zwischen Himmel und Erde. Die vom Vater zu Beginn des Trojanischen Krieges geopferte und von der Göttin Diana gerettete Griechin lebt als Priesterin auf der Insel Tauris. Eine schiefe Ebene grauer Steinplatten schwebt im Bühnenraum, gehalten von filigranen Stangen. Dieser Tempel ist kein Gefängnis, auch wenn sich Iphigenie, getrieben von ihrem Gewissen und auf der Suche nach einem Ideal, von einer Ecke zur anderen bewegt. Der Boden wankt, über Leben und Tod entscheiden nicht die Götter, sondern der Mensch hat die Wahl.

Tragen die Griechen Blau, tritt der „erdgeborene Wilde“ Thoas in braunem Anzug auf. Ihm voran fallen bunte Blumen auf Iphigenie nieder. Ein sinnlicher Kontrast zum minimalistischen Setting und ein überzeugender Effekt gleich zu Beginn. Die Sträuße sind sein Versprechen an diese Frau, doch liegen sie schon bald am Boden. Katrin Kersten schafft mit Bühne und Kostümen eine ansprechende Erscheinung, in der die Schauspieler sich souverän bewegen.

Ein bisschen zu glatt vielleicht. So kommt es einem fast harmlos vor, wenn am Schluss ein Blick und ein Handschlag den Konflikt lösen sollen. Die Tragik der Frauenfigur, die vom Mord des Vaters durch die Mutter, vom Erdolchen der Mutter durch den Bruder erfährt, tritt in den Hintergrund.

Tanja Schleiff spielt ihre Iphigenie mit einem Hang zum Komödiantischen, wenn sie das Gesicht verzieht. Einen starken Auftritt hat Jakob Schneider als Orest, der sich krümmt unter der Last seiner Schuld, aufbegehrt gegen den Feind und verletzlich der Schwester berichtet, wie er sich nach der Familie sehnt.

Andreas Grothgar als Thoas ist eine Wiederentdeckung auf der Düsseldorfer Schauspielbühne; er zählt jetzt fest zum neuen Ensemble. Thiemo Schwarz und Konstantin Bühler gehören ebenso zur Gruppe der neuen Festen. Der Geist am Haus hat sich geändert, die Zuschauer sollen die Gesichter auf der Bühne in verschiedenen Rollen kennenlernen, sie wiedersehen und sich auf sie freuen können. Genau das gelingt mit diesem Theaterabend, der Raum für die Sprachgewalt Goethes lässt und damit sicher den Geschmack vieler Zuschauer trifft.

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