Tocotronic im Zakk: Alles wird in Flammen stehen

Die Band rund um Sänger Dirk von Lowtzow lässt jede Punk-Attitüde weg — und wehrt sich trotzdem gegen die Welt.

Düsseldorf. Das kauzige, übers Band eingespielte Intro zwischen Teletubbies und Freddy-Krüger-Kinderchor ist gerade verklungen, da könnte es auch fast schon wieder vorbei sein mit Tocotronic im ausverkauften Zakk: „Hey, ich bin jetzt alt. Hey, ich bin jetzt kalt“, singt ein ergrauter, bärtiger Dirk von Lowtzow sein eigenes Ende herbei.

Früher, da hat er mal die gute alte Trainingsjacke wieder en vogue gemacht und damit den Klamottenstil einer ganzen Generation von Musikfans geprägt. Er wollte, so sang er es, Teil einer Jugendbewegung sein. Er war der junge und radikale Oberlehrer der „Hamburger Schule“, die dem deutschen Pop den Staub aus den Ritzen blies.

Aber die Zeiten ändern sich. Hat es sich also erledigt mit Tocotronic? Natürlich nicht. Im Gegenteil: Sie rumpeln weiter im Takt der Subversivität — nicht auf dem Prachtboulevard des Stadionrocks, sondern auf der Schotterpiste, auf dem „Pfad der Dämmerung“.

Von Lowtzow ist — wenn auch im Hemd heutzutage — immer noch einer, der anstelle von Gitarre oder Mikrofon genauso gut einen dicken, schwarzen Edding-Stift in der Hand halten könnte, um damit seine zu Parolen gewordenen Liedtexte auf die Wände zu kritzeln.

„Verschwör Dich gegen Dich“, „Alles wird in Flammen stehen“, „Die Revolte ist in mir“ — Tocotronic beglücken ihre Fans und grüßen sie mit „Hey Freaks“. Dabei lassen sie wie eh und je die Punk-Attitüde und jegliche Aggressivität weg.

Sie wehren sich gegen die Welt mit jenem Mix aus Langeweile und Verpeiltheit, der sie Kult werden ließ: Von Lowtzow reckt seine die Faust in die Luft und singt „Geh einfach weg, halt die Maschine an. Spreng deine Ketten in die Luft“ — nur um sich Sekunden später für den Applaus zu bedanken wie ein leicht bekiffter Student, dem Oma und Opa beim Kuchenessen gerade 200 Euro zugesteckt haben.

Gitarrist Rick McPhail jagt ein Dröhn-Riff nach dem anderen aus seinem Instrument — und trägt doch die uncoolste Riesen-Quadrat-Glasbaustein-Hornbrille aller Zeiten auf der Nase. Das Einzige, was anders ist als früher: Tocotronic sind in der Neuzeit angekommen. Wenn sie auftreten, dann sind das keine Klassentreffen mehr mit dem belesenen Kollegium der „Hamburger Schule“, sondern ein Spätschoppen, zu dem auch alle anderen kommen.

Die drei heimlichen Momente des Zakk-Konzertes sind demnach folgende: Ein betagtes Ehepaar sucht am Fanartikelstand für die daheimgebliebene Tochter ein Band-Shirt mit dem Aufdruck „Sag alles ab“ aus, weil: „Das hört sich schön punkig an.“ Ein Zuschauer filmt beim Song „Alles wird in Flammen stehen“ das Bühnengeschehen mit einem 30 Zentimeter breiten iPad vorm Gesicht. Ein Fan brüllt: „Ihr seid geil wie die Fortuna.“ Von Lowtzow grinst.

Dann singt er als Zugabe den alten Schinken aus der Trainingsjackenzeit, „Freiburg“: „Ich weiß nicht, wieso ich euch so hasse.“ Und bedankt sich mit einer dreifachen Verbeugung.

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