Trotz Legasthenie zur Kunstakademie

Hakan Eren war auf einer Förderschule und schaffte es mit seinem Talent ohne Abitur zum Kunststudium.

Düsseldorf. Hakan Eren studiert Kunst, genauer: freie Kunst und Grafik. Klingt normal, für Außenstehende. Doch der 22-Jährige muss sich manchmal selbst zwicken, um zu glauben, dass das nicht ein Traum, sondern Realität ist — für ihn, den ehemaligen Schüler einer Förderschule. „Wer diesen Stempel einmal hat, kriegt ihn meist nicht los.“ Die Lehrer bemühten sich, aber man fühle sich als Verlierer. „Das ist Fakt.“

Erens schulische Laufbahn verläuft alles andere als glatt. Er hat Probleme mit der deutschen Sprache, obwohl er in Remscheid geboren ist. Schreiben und Lesen fallen dem Deutsch-Türken besonders schwer. Mathematik und Textilkunde gehen ihm dagegen leicht von der Hand. Eine Lehrerin auf der Förderschule erkennt sein Talent fürs Malen. „Wenn andere schrieben, zeichnete ich.“

Diese Lehrerin wundert sich jedoch auch, warum der Junge zwar eine gute Allgemeinbildung hat, aber es beim Lesen und Schreiben hapert. Später kommen Ärzte dem Rätsel auf die Spur: Eren ist Legastheniker. Er hat Probleme mit der Umsetzung der gesprochenen in die geschriebene Sprache und umgekehrt. Von nun an muss er zur Sprachtherapeutin. Sein Lesen und Schreiben verbessern sich, aber Erens Stärken liegen eindeutig im Kreativen. Seine Erklärung dafür: „Mein Verstand gleicht diese Schwächen mit anderen Fähigkeiten aus.“

Der 22-Jährige spricht schnell, gelegentlich bricht er seine Sätze in der Mitte ab, fängt wieder von vorne an, weil ein anderer Gedanke dazwischen kommt. Er verhaspelt sich und setzt erneut an. Die Worte sprudeln nur so aus seinem Mund. Er lacht. „Früher habe ich noch schneller gesprochen.“ Trotz oder gerade wegen seiner Lese-Rechtschreib-Störung entwickelt der Remscheider einen ungeheuren Willen, es doch zu schaffen und nicht der ewige Förderschüler zu bleiben.

Die letzten zwei Jahre auf der Förderschule dienen der Berufsorientierung. Eren versucht sich in verschiedenen Handwerksberufen, findet Gefallen daran und erkennt: „Wenn ich selbst nichts tue, wird aus mir nichts.“

Der Sohn türkischer Einwanderer beißt sich durch, geht auf ein Berufskolleg, schafft seinen Realschulabschluss und die Qualifikation für die gymnasiale Oberstufe. Und wieder ist da der Moment, wenn Eren von den Hürden in seinem jungen Leben erzählt, wo er sich am liebsten kneifen würde, weil er es selbst nicht glaubt, dass sich alles zum Guten gewendet hat. Seine Familie und er sind mächtig stolz.

Er ist vielen Menschen dankbar, die ihn unterstützt haben, etwa dem Leiter der städtischen Kunstschule in Remscheid. Ihn lernte er noch als Förderschüler bei einer Ausstellung kennen. „Wir hatten Aquarelle gemalt“, erinnert sich der Student. Der Kunstschullehrer gewinnt Eren für seine Einrichtung, wo der Student heute noch in einer Theatergruppe aktiv ist. An der Kunstschule fördert ihn eine Lehrerin besonders. „Ohne sie würde ich heute nicht studieren.“

Auf gut Glück hatte sich Eren bereits vor zwei Jahren an der Kunstakademie Düsseldorf beworben. Wegen des fehlenden Abiturs reichte die Note für seine abgegebenen Arbeiten aber nicht zur Aufnahme aus. Über eine Freundin bekommt er jedoch Kontakt zu dem dänischen Künstler Tal R., der seit 2004 an der Kunstakademie eine Meisterklasse für Malerei unterrichtet. Er schaut sich die Mappe des jungen Mannes an, erklärt ihm, was er ändern soll: weg vom schulischen Zeichnen und hin zum eigenen künstlerischen Ausdruck.

Eren erstellt eine ganz neue Mappe. Er beschäftigt sich mit Kollagen, die er aus verschiedenen Materialien fertigt. Er zeichnet, näht Stoffe zusammen, klebt Kordeln oder Bordüren dran. Die neuen Arbeiten und die Empfehlungen von Tal R. sowie eines sehr guten Freundes, der bei Gursky studiert, verschaffen ihm schließlich einen Platz in der Akademie.

Seit Oktober studiert er nun — wieder so ein Kraftakt. „Es ist sehr schwer“, erzählt er. Ihm fehle das richtige Handwerkszeug zum Lernen. Doch Hakan Eren baut sich seine Eselsbrücken: Beamer-Präsentationen fotografiert er, Vorträge nimmt er mit einem Diktiergerät auf. Er ist zuversichtlich, dass er den Abschluss schafft. Sein Ziel: „Ich will von meiner Kunst leben.“

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