Rheinoper Zwischen Wahn und Realismus

Regisseur Immo Karaman inszenierte an der Rheinoper Sergej Prokofjews Literatur-Adaption „Der feurige Engel“.

Rheinoper: Zwischen Wahn und Realismus
Foto: Hans Jörg Michel

Düsseldorf. „Aber Hans Castorp war mit wenigen Schritten bei den Stufen der Eingangstür und schaltete mit knappem Handgriff das Weißlicht ein.“ Der Satz entstammt dem Kapitel „Fragwürdigstes“ ziemlich am Ende von Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“. Schockartig reißt da jemand Teilnehmer einer Séance aus dem magischen Dunkel. Dieser literarische Desillusionierungs-Effekt wiederholte sich jetzt an ganz anderer, musiktheatralischer Stelle: in Immo Karamans Inszenierung der Prokofjew-Oper „Der feurige Engel“ an der Rheinoper.

Die Bühne hatte gerade noch ein glamouröses, behaglich warm illuminiertes Varieté-Theater vorgestellt, in dem es aber zu einem brutalen Showdown kam zwischen den um eine Frau kämpfenden Männern Ruprecht und Graf Heinrich. Als Graf Heinrich vermeintlich tödlich von einer Kugel getroffen zu Boden sinkt, schaltet sich auch hier das Weißlicht ein, und wir befinden uns wieder im kühl gestalteten Aufenthaltsraum der schon durch vorhergehende Szenen bekannten Irrenanstalt. Aus dem blutenden, aber mondänen Rivalen Graf Heinrich wird urplötzlich ein einfacher Klinik-Insasse, der etwas belämmert lacht und vom Anstaltspersonal in Gewahrsam genommen wird. Ruprecht bleibt in seinem Straßenanzug und wirkt wie ein außen stehender Beobachter. Das ist bühnentechnisch raffiniert gelöst wie in einer Zaubertrick-Nummer.

Die Oper basiert auf Walerie Brjussows Roman „Ognenny angel“ und spielt im Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts. Es geht um eine Frau, Renata, die von einem feurigen Engel namens Madiel berichtet, der ihr in früher Jugend begegnet sei und sie über Jahre treu begleitet habe. Er soll von Gott, dem Guten und Keuschheit gepredigt haben und sei aber schließlich als erboste Feuersäule für immer entschwunden in dem Moment, da Renata sich habe mit ihm körperlich vereinigen wollen. Ursprünglich spielt das Stück keineswegs in einer Nervenklinik, sondern in einem Gasthof. Karaman hat die Handlung also ziemlich weit versetzt, kommt aber ihrem symbolistischen Wesen sehr nahe.

Denn die neue Produktion zeichnet sich aus durch ein Vexierspiel zwischen Wahn, Mystik und Realismus. Damit gelingt es dem Regisseur die der weiblichen Hauptfigur Renata zugeschriebenen Visionen sowohl von innen als auch von außen zu betrachten. Kostüme und technische Geräte erinnern ans frühe 20. Jahrhundert. An altdeutsche Zeiten gemahnen wiederum Baustil des kirchenähnlich gestalteten Irrenhauses und die historische Kutte eines Inquisitors (Kostüme und Choreografie: Fabian Posca), der an Renata einen Exorzismus versucht.

Das Stück ist (insbesondere in Karamans Lesart) eine schreckliche Tragödie über das Aufeinanderprallen zwischen abseitigen, aber vielleicht sehr reinen und schönen Idealitäts-Fantasien, hilflosen Rettungsversuchen durch einen Liebenden (Ruprecht) und fantasieloser Dogmatik von Kirchenfunktionären und Ärzten. Hierzu passt freilich Prokofjews düstere und laute Musik mit kräftigem Dröhnen aus dem Orchestergraben, das die physische Bewältigung der Gesangspartien zum Parforceritt macht.

Die Sänger schlagen sich großartig, allen voran das Protagonisten-Paar Svetlana Sozdateleva (Renata) und Boris Statsenko (Ruprecht). Stimmlich wie darstellerisch verleihen sie den Figuren enorme Plastizität und Bühnenpräsenz. Auch den Düsseldorfer Symphonikern und dem Rheinopern-Chor (Einstudierung: Christoph Kurig) unter der Leitung von Wen-Pin Chien gelingt eine mitreißende Darbietung, die neben der Wucht auch Präzision und Transparenz aufweist. Ein faszinierender, fesselnder Abend, der den Besucher aber auch stark fordert. Kräftiger Beifall und Jubel für Sänger, Orchester und das Regieteam.

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