Leben im gallischen Dorf

30 Jahre nach den Besetzungen ist die Kiefernstraße noch immer einzigartig. Aber wer sind heute die Bewohner und wie leben sie eigentlich?

Düsseldorf. Jana Burkhardt hat es vor drei Jahren geschafft, sie bekam eine Wohnung in der Kiefernstraße. Sie kennt mindestens fünf Leute, die auch gern hierher ziehen würden, sagt die 30-jährige studierte Philosophin mit Job an der Heine-Uni. Aber das ist nicht so einfach. Sie musste sich bei allen Mietern im Haus vorstellen, das Ganze zog sich über Wochen.

In der Kiefernstraße sind die alten Besetzerzeiten lange vorbei. Die Bewohner haben zwar Mietverträge bei der SWD. Doch die Zukunft ist seit Jahren ungewiss, der Sanierungsbedarf hoch. Was sind das für Menschen, die heute hier wohnen? Wie ist das Leben hinter den bunten Fassaden, was ist geblieben vom Mythos der alternativen Gemeinschaft?

Betritt man Jana Burkhardts Haus, kommt man in ein Treppenhaus, das lange nicht saniert wurde. An den Wänden hängen vergilbte Plakate mit Polit-Parolen, es riecht nach feuchtem Keller. Die Wohnung ist im vierten Stock, es ist „eine Art WG“, sagt die junge Frau, schwarz gekleidet, kurze blonde Haare.

Hinter der Eingangstür sieht es freundlicher aus, es gibt drei Wohnungen, neben Jana Burkhardt wohnen hier noch Ansgar und Harald Schwenk (47) mit seiner 15-jährigen Tochter. Auf die Frage, seit wann er hier ist, muss er überlegen. Jedenfalls deutlich über 20 Jahre.

Die meisten Leute im Haus kennen sich gut, Jana Burkhardt sagt, sie kocht nie für sich allein. Neben ihrem eigenen Wohnungsschlüssel noch acht weitere aus der Nachbarschaft: Das eine ist die Wohnung ihrer besten Freundin, in der anderen stellt sie ihr Fahrrad ab, in einer weiteren heizt sie im Winter manchmal den Kohleofen nach. Um diese Jahreszeit tun sich einige Bewohner zusammen, um Kohle für den Winter zu bestellen.

Das Heizen mit Briketts ist noch immer Standard in der Kiefernstraße. In Harald Schwenks Wohnung unterm Dach sinkt die Temperatur im Winter manchmal auf 16 Grad: „Das ist in Ordnung, bei uns zu Hause war es früher auch nicht so warm.“

Schwenk wohnte vorher selber in der vierten Etage, dann baute er das Dachgeschoss aus, handelte dafür mit der SWD einen Mieterlass aus und zog nach oben. Es ist aber nicht so, dass man mit solchen Aktionen in der Kiefernstraße Bewunderung erntet. Jana Burkhardt hat beim Einzug eine Wand herausgenommen, ein Fenster ausgebaut, Teile des Dachstuhls freigelegt sowie den Dielenboden, ein Fenster ausgetauscht. Leute aus dem Haus halfen oder gaben Tipps, es gibt auch Handwerker hier. Werkzeug konnte sie sich leihen. Die Wohnung ist schön geworden, aber es geht auch um Unabhängigkeit: „Man ruft nicht gleich die Hausverwaltung an, wenn ein Wasserhahn tropft.“

Dafür liegt die Miete bei 1,12 Euro kalt pro Quadratmeter. Viele Leute arbeiten nicht Vollzeit, stecken ihre Zeit in die Straße. Jana Burkhardt engagiert sich in der Initiative „Freiraum“ gegen steigende Mieten, vor ein paar Tagen hat sie im legendären Punkclub „AK47“ ein kleines Musikfestival mitorganisiert, bei dem nur Frauen auf der Bühne standen. Kommen Bands von außerhalb, sind Kost und Logis frei: „Die werden einfach in die WG integriert.“

In der Kiefernstraße herrscht aber keine Einheitskultur. Zwar kennen sich viele der über 600 Bewohner persönlich, auf der Straße grüßt Jana Burkhardt alle paar Meter jemanden. Aber nicht alle Häuser sind große WGs, erzählt Harald Schwenk. Und nicht alle haben Lust, sich regelmäßig in Straßenplenum, Häuserrat oder eins der zahlreichen anderen Treffen zur Vorbereitung von Festen oder politischen Aktionen zu setzen.

Andererseits sagt Jana Burkhardt, es gebe keine Trennung zwischen bemalter und unbemalter Seite. „Beide Seiten gehören für mich zur Kiefern, genauso wie die Wagenburg.“

Dort wohnen auf der Rückseite der Straße in quasi selbst gebauten Häusern Leute wie Daniel (31). Aus einem Bauwagen hat er über Jahre eine kleine Wohnung für sich und seine zwei Kinder gezimmert. Innen ist es verwinkelt und eng, aber Daniel sagt, er hat alles, was er braucht, sogar Strom und Internet.

Dass Leute viel Geld damit verdienen, dass andere ein Dach über dem Kopf haben, findet Daniel nicht in Ordnung. Dafür nimmt er in Kauf, dass es fließendes Wasser nur an einer Stelle in der Wagensiedlung gibt. „Ich habe hier die Freiheit, mit meinem Haus zu machen, was ich will, und lebe mit Leuten, auf die ich Lust habe.“

Unabhängig will die Kiefernstraße auch von behördlicher Hilfe und Kontrolle sein. „Wenn Kids hier mal was geklaut haben, kümmern wir uns darum“, sagt Harald Schwenk. Es werden aber nicht etwa die Eltern angesprochen, sondern die Jugendlichen selber. Die Polizei komme heute generell nicht mehr in die Straße.

Einmal aber doch: Nachdem durch den Abriss von Teppich-Frick die Sicht von Norden frei war, riefen Anwohner der Erkrather Straße abends die Polizei. Sie hatten auf dem Dorfplatz, wo die Kiefernstraße den Knick hat, ein Feuer gesehen. Der Dorfplatz ist ein zentraler Treffpunkt der Straße. Die Beamten fuhren vor, erzählt Jana Burkhardt, dort wurde ihnen erklärt, dass die Feuertonne eine regelmäßige Einrichtung sei. Damit war die Sache geklärt.

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