Düsseldorf Schwul und Schützenkönig — das Leben als unfreiwilliger Pionier

Udo Figge und sein Ehemann Dirk Jehle regieren in Bilk jetzt gemeinsam — und sind plötzlich berühmt. Das große Interesse hat sie völlig überrascht.

Düsseldorf: Schwul und Schützenkönig — das Leben als unfreiwilliger Pionier
Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Udo Figge hat eigentlich nichts getan, als sein Leben zu leben und sein Hobby auszuüben. Doch dafür ist er plötzlich in ganz Deutschland bekannt. Denn der 51-Jährige ist schwul und Schützenkönig. Seit dem Wochenende sitzt er bei der Friedrichstädter Reserve mit seinem Ehemann Dirk Jehle auf dem Thron. Ein Präzedenzfall, über den Fernsehen, Radio, Zeitungen, Magazine und Internetblogs in der ganzen Republik berichtet haben. Und mit dem König Udo und sein Partner jetzt leben müssen — obwohl ihn zu schaffen, nie ihre Absicht war.

Udo Figge kommt aus einer Schützenfamilie im westfälischen Hamm, war schon als kleiner Junge Page. Sein Coming-out war in der ländlichen Heimat durchaus ein Thema — nie allerdings in Düsseldorf, wohin er 1992 zog. Für die Liebe zu Dirk Jehle, den er 2002 heiratete.

Bei den Schützen in Bilk gehören sie seit jeher fest zusammen — Jehle ist mit den Ehefrauen in der „Damenkasse“. Udo Figge träumte lange vom Königsschuss: „Ich habe mich riesig gefreut und auch ein Tränchen vergossen.“ Der Treffer wurde in der Düsseldorfer Presse vermeldet. „Ich dachte, das war es“, sagt Figge. Doch dann äußerte sich der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften: Das schwule Königspaar verstoße gegen 900 Jahre alte Traditionen, das gehe nicht. Figge: „Und dann überschlug es sich.“

Handy und Festnetztelefon klingelten in den Stunden darauf parallel, zig Journalisten aus ganz Deutschland riefen an, drei Fernsehteams standen nacheinander vor der Tür, die beiden Männer gaben O-Töne in Radiomikrofone. Tagelang. Noch am Wochenende wurden sie in einem Blitzlichtgewitter gekrönt, wie es vermutlich kein Düsseldorfer Schützenfest zuvor gesehen hat. In den sozialen Netzwerken diskutieren Hinz und Kunz über Brauchtum und Toleranz. „Wir haben zum Glück viele schöne Reaktionen bekommen“, sagt Jehle. Aber er und seine Familie erhalten seither auch Schmähanrufe von einem Unbekannten.

Udo Figge kann es bis jetzt nicht fassen: „So ein Bohei“ um eine schwule Liebe — im Jahr 2015. Und er im Mittelpunkt des Bohei, soll ständig über diese Liebe sprechen, die für ihn seit mehr als 20 Jahren das Normalste der Welt ist. „Man stellt fest: So weit sind wir dann doch noch nicht“, sagt Dirk Jehle.

Beide glauben, dass ihnen die Erfahrung in der Politik geholfen hat — Figge war SPD-Ratsherr, Jehle ist Vorsitzender der Lesben und Schwulen in der NRW-SPD. „Wenn wir nicht schon im öffentlichen Leben gestanden hätten — ich weiß nicht, ob wir es durchgezogen hätten“, sagt Figge. „Das hätte einen großen Knall geben können.“ So war es vor allem „anstrengend“. Aber: „Wenn er zu Veränderungen führt, ist der Trubel auch okay für mich“, sagt der neue Schützenkönig. Allerdings: So ziemlich die Einzigen, die noch überhaupt nicht auf das unfreiwillige Pionierpaar zukamen, sind die Herren vom Schützenbund. “ Voting: Können Sie die Aufregung ums schwule Schützenkönigspaar verstehen?

www.wz-duesseldorf.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort