Wo die Altstadt wirklich alt ist — ein Streifzug durch die Historie

Durch verwinkelte Treppenhäuser und an Jahrhunderte alten Mauern vorbei kann man die Altstadt ganz neu entdecken.

Düsseldorf. Es riecht nach Maische. Der Geruch macht Lust auf ein leckeres Alt und ein Mettbrötchen, doch er kommt nicht aus der Ecke in der gerade Hans-Peter Schwemin unter einer altertümlichen, nach oben abgedichteten Treppe kauert.

Gebraut wird zwei Häuser weiter, beim Kürzer an der Kurzen Straße 20, Schwemin steht im Haus mit der Nummer 16. Die beiden Häuser Nummer 16 und 18 stammen aus dem 18. Jahrhundert, das Gebäude in dem heute das Kürzer Alt gebraut wird geht in seinen Grundmauern wohl bis in die Zeit um 1680 zurück.

Schwemin hat die Häuser auf der nördlichen Seite der Kurzen Straße in den 80er-Jahren gekauft und sie zu den urigen Kneipen Schaukelstühlchen, Kiste und Quetsche — und schließlich zu Schaukelstühlchen und Kürzer Brauerei umgebaut. „Das ist die älteste erhaltene Häuserzeile in der Altstadt“, sagt er und schließt die Häuser 6 bis 14 mit ein. Nirgendwo in der Altstadt gibt es einen größeren zusammenhängenden Straßenzug unter Denkmalschutz.

Die Nummer 16 ist so schmal, dass dort ein Basketballler Schwierigkeiten hätte, sich hier quer zu legen. „Bis in die 60er- Jahre gab es hier im Erdgeschoss ein Café“, erzählt Schwemin, darüber waren Wohnungen. Noch weiter zurück diente das Haus 1806 als Branntwein-Kneipe und in den 1830er-Jahren als Metzgerei.

Wir steigen die knarzende Treppe hinunter und gehen um die Theke des Schaukelstühlchens herum und stehen in einem anderen Haus. Wir habe es eigentlich nicht bemerkt. Nur eine kleine Unebenheit im Fußboden verrät, dass dort einmal eine Mauer war die Nummer 16 von 18 trennte.

Wir stehen an der Milchtheke, zumindest war sie das nach dem Krieg bis 1958. Im 19. Jahrhundert gab es hier laut Denkmalamt auch einmal einen Weinhandel, ein Notariat und eine Arztpraxis. Zeugen der Zeit, als hier noch Milchkannen statt Killepitsch über den Tresen gingen, sind die blau-weiß-roten Bodenfließen, über die die meisten Altbierdurstigen des Nächtens wohl achtlos hinwegstolpern.

Nicht so Schwemin, der sich beim Rundgang als großer Geschichtsfan outet: „Ich finde das total spannend, ich habe auch bei allen Umbaumaßnahmen versucht soviel Altes zu erhalten wie möglich.“ Wenn er zum Beispiel eine Mauer einreißen musste, rettete er die brauchbaren Feldbrandziegel und baute sie später an anderer Stelle wieder ein. Oder auch die Treppe an der man auf dem Weg zur Toilette vorbeikommt.

Das Kneipenleben hat sie zwar gezeichnet und sie führt auch ins Nichts, aber: Sie ist mehrere hundert Jahre alt, sie ist Barock. „Davon gibt es nur noch drei oder vier in ganz Düsseldorf“, sagt Schwemin. Dort war früher Schluss mit Haus 18 — alles weitere sind Anbauten von Schwemin. So entstand auch eine neue Treppe, über die es in die Wohnungen über der Kneipe geht. „Die sind etwas für Liebhaber. Hier gibt es keine gerade Wand und keinen ebenen Boden.“ Ikea-Möbel funktionieren dort nicht.

Fertig mit Umbauen, Retten oder Reparieren wird der Altbau-Liebhaber wohl nie. Im ersten Stock soll irgendwann ein Büro entstehen. Noch wird aber entkernt. Da kommen etliche Schichten Bodenbeläge und Wandverkleidung aus allen Epochen zum Vorschein. Und dort sammelt Schwemin auch Schätzchen, die er in oder unter seinen Häusern findet: Zum Beispiel eine alte Steingutflasche oder eine bemalte Fliese.

„Die sind bestimmt nicht besonders alt oder wertvoll. Aber ich hebe so etwas eben auf“, sagt der Kneipier und Bierbrauer. Gefunden hat er sie beim Ausheben der alten Latrinenbecken im Hof. „Die wurden einfach mit Schutt aufgefüllt, als die Häuser ende des 19. Jahrhunderts an die Kanalisation angeschlossen wurden.“

Wir kommen dem herrlichen Maische-Dampf immer näher. Die Kürzer-Brauerei, Haus Nummer 20. „Nein, das hier ist noch die 18“, klärt Schwemin auf. Würden diese drei Miteinander verbundenen Häuser auf der Rheinkirmes stehen, sie wären als Altbierlabyrinth ein Publikumsrenner.

Über einen kleinen Absatz erklimmen wir Haus 20 und stehen vor der Kürzer-Theke. Hinter dem Fass ist ein Fenster in der Mauer, das hier soviel Sinn zu machen scheint, wie der Verkauf von Kölsch. Schwemin klärt auf: „Das ist das alte Fenster zum Kühlraum. Dadurch griff früher der Metzger, um die verlangte Wurst zu holen, um nicht durch ständiges Türöffnen an Kühle zu verlieren.“ Die Nummer 20 war also eine Metzgerei. Dort wo heute Braukessel stehen wurde noch bis weit nach dem zweiten Weltkrieg Wurst gemacht. Weiße Original-Fliesen an der Rückwand der Brauerei. Dann geht es abwärts.

Im Keller finden wir ein Tonnengewölbe — zum Partyraum ausgebaut, den Raum in dem die Fässer lagern — früher eine Latrine. Und endlich ein Stück alte Grundmauer mit Wackersteinen auf Lehm. „Die ist aus der Zeit um 1680. Vor diesem Stein stehen die Gäste immer ganz ehrfürchtig — vor allem die Amerikaner“, sagt Schwemin. Und auch wir verlassen ehrfürchtig die Kurze Straße und gehen weiter auf Entdeckungstour.

In der Ursulinengasse lockt eine Toreinfahrt in der sich ein kleines Kiosk versteckt. „Sie stehen im Stall von Mäxchen. Dem letzten Brauereipferd Düsseldorfs“, sagt Barbara Marcus, die das Büdchen betreibt und bittet uns in den verträumten Innenhof.

Wir waren auf der Suche nach einer kleinen Erfrischung und haben wieder Geschichte gefunden. Denn das Haus zum Innenhof, dessen Einfahrt an der Ritterstraße liegt, wurde um 1675 gebaut. Dort hofierte einst der fürstliche Hofkammerrath Nicolaus von Voetz, der das Grundstück vom Grafen Philipp Wilhelm geschenkt bekommen hatte. Der Anbau der den Innenhof umschließt und das Büdchen beherbergt, war früher das Gesindehaus für das Hauspersonal.

Wenn der Hofkammerrath des Grafen mit der Kutsche durch das Tor an der Ritterstraße gefahren kam, konnte er direkt im Haus aussteigen, ging eine Treppe mit Flügeltüren hinauf, die es heute noch gibt, und war in seinen mit Stuck verzierten Gemächern. „Das hier war einst das erste Haus außerhalb der Stadmauer, daher musste der Hausherr keine Steuern zahlen. Als wir das Haus vor 30 Jahren übernommen haben, versuchten wir diesen Deal auch durchzusetzen — leider erfolglos“, sagt Ange Marcus, die Mutter von Barbara, die ein Antiquariat betreibt.

Durch die Räume — Verzeihung — die Säle im Herrenhaus geht man nicht, man schreitet. Durch Flügeltüren, unter Stuckdecken. Ein bisschen Hofkammerrath wird wach. Nach dem 2. Weltkrieg, als Wohnraum im zerbombten Düsseldorf knapp war, waren die großen Zimmer mit Zwischenwänden unterteilt.

In einem Schlafzimmer findet sich eine echte Rarität. Eine Kölner Decke, mitten in der Düsseldorfer Altstadt. Das sind Balken und Dielen, die schlicht weiß verputzt sind. Sieht unspektakulär aus — ist aber prägend für den rheinischen Frühbarock.

Das Parkett im Haus an der Ritterstraße verbrannte im 2. Weltkrieg, trotzdem lässt sich unter dem glitzernden Kronleuchter erahnen, wie es sich zugetragen haben muss als — lange nach dem Hofkammerrath Voetz — das Ulanenregiment 5 diese Gemäuer zu ihrer Stammkneipe erkoren.

Die Ulanen, von 1822 bis 1918 in Düsseldorf stationiert, sollen sich dort der Legende nach beim Süßholzraspeln mit ihren Bräuten und dem Genuss der Erzeugnisse der im Haus ansässigen Likörfabrik mächtig ins Zeug gelegt haben — weswegen das Haus bei den Düsseldorfern lange „De Söße Eck“ hieß. Freilich soll es hier auch die ein oder andere zünftige Schlägerei gegeben haben. Altstadt damals — Altstadt heute. Man muss nur den Kopf um die nächste Ecke stecken.

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