Das andere Gesicht der Altstadt

Im Herzen der Stadt geht’s auf vielen Sträßchen ruhig zu — und es gibt viel Qualität.

Düsseldorf. „Für uns ist die Berger Straße eine 1a-Lage“, sagt Sabine Zäh. Ihre Familie führt das Fachgeschäft Börgermann für hochwertige Schneidwaren und Bestecke seit mehreren Jahrzehnten.

Selbst edle Sammlermesser mit Mammutelfenbeingriff und Damastklinge, die bis zu 10 000 Euro kosten können, liegen in den Vitrinen. „Zwischen Uerige und Carlsplatz bummeln bei Messen die Geschäftsleute und wir haben auf diese Weise viel Kundschaft. Viele kommen bei jedem Düsseldorf-Aufenthalt zu uns.“

Seit 1847 existiert Börgermann an gleicher Stelle, und natürlich hat die Familie viele Stammkunden — seit Generationen. Sie kaufen dort Schneidwaren, Bestecke oder lassen Messer und Scheren schleifen, auch viele Köche aus Hotels und Restaurants kommen.

Das Geschäft steht für das andere Gesicht der Altstadt, ein anderes als das, was mit Randale in den Schlagzeilen steht oder in reißerischen TV-Formaten vorgeführt wird.

Zur Villa Wahnsinn, die in Kürze das Ballermann-Profil der Bolkerstraße schärft, fällt den Damen denn auch nur wenig ein. Ulrike Zäh hält nicht viel von Hausbesitzern, welche dieser Entwicklung Vorschub leisten. Ob sie damit Altstadtkönig Primo Lopez, der an den neuen Feiertempel vermietete, zum Grübeln bringt?

Tatsächlich hat die Altstadt in vielen Sträßchen und tagsüber fast überall mit dem Partyvolk wenig zu tun. Da geht’s meist ruhig zu, es wird viel eingekauft, die Restaurants brummen.

Mittags sind die Top-Italiener A Tavola oder San Leo auf der Wallstraße oft ausgebucht. „Von der Bolkerstraße bekommen wir hier nicht viel mit“, sagt Gino Bacchocchi, einer der beiden Chefs im San Leo. „Auch im Sommer nicht, wenn wir bis Mitternacht Terrassenbetrieb haben. Da fährt mal Polizei durch die Mittelstraße, aber das war’s.“

Ähnliches berichtet Jeewan Lal, der mit seinem kleinen Fischrestaurant La Bouillabaisse an der Neustraße gleich in Hörweite des Bolker Vulkans residiert. „Wir sind 24 Jahre hier und haben keine Probleme.“ Die 16 Plätze sind abends fast immer belegt, auf der Karte stehen Austern, Jakobsmuscheln, Lottemedaillons etc.

Die Altstadt bietet gastronomisch viel Qualität, man muss nur wissen, wo. Auf der Berger Straße haben die Feinschmecker des Gault Millau beispielsweise gleich zwei Gastronmen in ihre Rangliste aufgenommen: Das Shilla erhielt für seine feingewürzte Palette koreanischer Gerichte 13 von 20 möglichen Punkten und damit ein Häubchen, das nur ein paar Meter weiter gelegene Libanon fuhr zwölf Punkte ein.

Also alles eitel Sonnenschein? So weit darf man nicht gehen, aber die Altstadt ist eben ein vielfältiger Kosmos, wo das Paradies nah und doch nie in Reinkultur zu haben ist.

Das bemerkten auch Selinde Böhm und Rudolf Müller, die mit ihrer anspruchsvollen Buchhandlung von der Neu- ausgerechnet auf die Bolkerstraße gezogen sind. Da aber steht das Heine-Haus — und dort einzuziehen und obendrein einen schönen Saal für Lesungen und Diskussionen erhalten zu haben, ist für die Bibliophilen mehr als eine feine Sache. „Es gibt jedoch Kunden, die wollen nicht zur Bolkerstraße kommen“, sagt Müller, der samstags auch mal die Tür schließt, „wenn mittags die ersten Betrunkenen bei Junggesellenabschieden grölend über die Straße ziehen.“

An einem normalen Abend aber, wenn man nach einer Lesung auf die Straße tritt „und vom pulsierenden Leben im Gesicht getroffen wird, dann finde ich das klasse“. Auswärtige Gäste fragen dann, ob in Düsseldorf ein Fest gefeiert wird — aber es ist eben nur ein normaler Abend auf der Bolkerstraße.

Einen vergleichbare Spannbreite hat Arno Basten ausgemacht. Seine „Holz-Connection“ für Maßanfertigungen startete vor 17 Jahren an der Berliner Allee und kam über Cornelius- und Oststraße zum Burgplatz.

„Die Einheimischen und die Bummler sind angenehm und mit den Obdachlosen von der Armenküche gibt es gar keine Probleme“, sagt er. „Schlimm ist das Feiervolk. Sie möchten nicht wissen, was ich hier montags oft am Geschäftseingang wegzumachen habe.“

Nur 30 Prozent der Mietflächen in der Altstadt sind von Gaststätten belegt, 70 Prozent vom Handel. Bernd Schenkenbach ist Kürschnermeister und seine Familie seit 1868 an der Mittelstraße mit Geschäft und Atelier aktiv. Ihn plagen andere Gedanken: „Ich überlege jeden Tag, ob ich hier bleiben soll“, sagt der 67-Jährige.

Grund ist die Zunahme der Filialgeschäfte und der Verlust von Häusern wie Sorge, Sudhaus und einiger Juweliere in der Nachbarschaft. Passt das noch zu den feinen Pelzen? Andererseits: Es ist das Haus der Familie. Was die Menschen angeht, so sieht er es wie Uerige-Ehrenbaas Josef Schnitzler.

Der hatte in einem Gastbeitrag für die WZ geschrieben: „Viele sind der Ansicht, die Altstadt ändert sich. Ich sage: Nein, die Altstadt ändert sich nur so, wie wir unsere Gewohnheiten ändern. Darauf stellen sich die Angebote ein. Und wer sich im Leben nicht benehmen kann, tut das auch nicht in der Altstadt!“

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