Auf Patrouille im U-Bahn-Schacht

Tief unter den Straßen der Innenstadt, in den Gängen und Schächten der U-Bahn, gibt es viele Geheimnisse.

Oliver Funke ist Sicherheitschef der Rheinbahn. Täglich geht er durch die Gänge des U-Bahn-Systems und überprüft sie. Foto: Nikolas Golsch

Oliver Funke ist Sicherheitschef der Rheinbahn. Täglich geht er durch die Gänge des U-Bahn-Systems und überprüft sie. Foto: Nikolas Golsch

Foto: Nikolas Golsch

Düsseldorf. Ein Arbeitstag von Oliver Funke beginnt wie der vieler anderer Düsseldorfer auch — mit der Rolltreppe geht es hinab zum U-Bahnhof unter dem Hauptbahnhof. Wo andere am Bahnsteig warten, geht Funke jedoch vorbei. Sein Weg führt ihn bis ans Kopfende des Bahnsteiges, zu einer kleinen edelstählernen Pforte, in der sich die Lichter der Bahnsteigbeleuchtung spiegeln.

Fährt ein Zug vorbei, muss sich Oliver Funke eng an die Tunnelwand drücken.

Fährt ein Zug vorbei, muss sich Oliver Funke eng an die Tunnelwand drücken.

Foto: Judith Michaelis

Es erfordert keine Kraft, sie zu öffnen, und doch ist sie der Eingang zu einem verwinkelten System aus Schächten und Räumen, das wie eine Ader des Lebens unter der Stadt verläuft.

In der Wendeanlage warten die Züge auf ihren Einsatz.

In der Wendeanlage warten die Züge auf ihren Einsatz.

Foto: Judith Michaelis
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39 Bilder

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Sobald ein paar Meter zurückgelegt sind, wird es schlagartig dunkler. Schmal ist der Gang und nur ein verstaubtes, wackeliges Geländer mit dünnen Metallstäben trennt die Gleise von dem niedrigen Podest, über das der Weg verläuft. Irgendwann endet das Betonpodest und eine kleine Treppe mit einer Hand voll Stufen führt hinab auf die Schienen. Holzpaneele liegen zwischen den Schienen und bilden einen schmalen Übergang zur anderen Seite des Tunnels.

Was eben noch eng erschien, ist jetzt schon wieder breit — noch schmaler als der kleine Gang ist der Raum, der zwischen Schienen und Tunnelwand verbleibt. Fährt ein Zug vorbei, muss Oliver Funke sich ganz dicht an die Wand drücken, um nicht vom erzeugten Sog erfasst zu werden.

Säulen tun sich auf der gegenüberliegenden Seite auf, die Gleisstränge der verschiedenen Linien kreuzen sich in der Mitte. Weichen über Weichen verlaufen über dem Boden, wer die Schienen weiterverfolgt, blickt irgendwann jedoch in die Dunkelheit. Nur zu erahnen sind die weiteren Verläufe, für das Auge reicht das Licht nicht mehr aus. Funkes Weg führt zur Wende- und Abstellanlage der U-Bahnen. Ein Podest aus rohem Beton ist das Kernstück der Anlage. An seinen Seiten parken die Züge, die sonst Millionen von Menschen befördern. Zur Zeit sind die Sitze verlassen, die Lichter ausgeschaltet.

Es ist leer unter der Erde, tief im Inneren des U-Bahn-Systems. Am Ende des Podestes werkelt ein einsamer, grau gekleideter Techniker. Es ist einer von Funkes 30 Mitarbeitern. „Berta 12“ heißen die grauen Gesellen. „Während die Züge hier parken, werden die Ticketautomaten neu befüllt und gewartet“, erklärt Funke. Er selbst ist Sicherheitschef der Rheinbahn und kennt das System wie seine Westentasche. „Ich kenne hier jedes Loch“, sagt er.

Täglich patrouilliert er durch die dunklen Schächte und schaut nach dem rechten. Wer sich als heimlicher Besucher in die Gänge einschleicht, wird von Funkle aufgespürt — und rausgeworfen. So wie es zwei neugierige Jugendliche schon am eigenen Leib erfahren mussten. „Wer hier auf eigene Faust herumwandert, begibt sich in Lebensgefahr“, sagt er. Und doch, allen Gefahren zu Trotz, sei die U-Bahn sein Wohnzimmer — „das ist mein zweites Zuhause“, sagt er.

Doch ganz so leer, wie es auf den ersten Blick erscheint, ist es gar nicht an der Wendeanlage Hauptbahnhof. Eine kleine Türe hinter den abgestellten Wagen führt in den Pausenraum der „Berta 12“-Mitarbeiter. Davor, in einer Ecke des U-Bahn-Schachtes, steht ein kleiner Tisch mit grüner Tischplatte.

Eine Kaffeekanne steht auf ihm, eine Zuckerdose daneben. In einer alten Holzschachtel liegen ein paar Kupfermünzen herum. Eine Art Kaffeekasse ist das, sagt Funke und schmunzelt. „Ohne Kaffee geht hier unten gar nichts“, sagt er. Die braune Suppe treibe die ganze Rheinbahn an — zwei Liter pro Kopf und Tag seien normal.

Hier, an der Kaffeetheke trifft Funke auf Edith Graf. Sie ist eine der U-Bahn-Fahrerinnen, die für den reibungslosen Ablauf alles geben. Noch zehn Minuten verbleiben ihr, bis sie aus dem Bahnhof ausfahren darf und ihre ersten Fahrgäste am Hauptbahnhof einsammeln kann. Heute fährt sie die U79 — einmal nach Duisburg und wieder zurück. Es ist ihre Lieblingslinie. „Und die Leitstelle weiß das auch“, sagt sie. „Die U79 ist die längste aller Linien, hier kommt man ans Fahren“, sagt sie. Die U78 meidet sie dagegen. Zu kurz ist ihr der Linienweg zur Arena.

Unter der Erde können sich die Fahrer aber erst einmal entspannen. Vollautomatisch läuft hier der Betrieb. Dafür sorgt ein kleines, dünnes Kupferkabel, das mittig zwischen den Schienen verläuft. „Erst überirdisch müssen die Fahrer selbst Gas geben und das Fahrzeug steuern“, so Funke.

Dann ist es soweit — Edith Graf schließt ihr zugeteiltes Fahrzeug auf, meldet sich über Funk bei der Leitstelle und gibt den Kurs ihrer Linie in einen Bordcomputer ein. Ein Piepton erklingt und sie weiß, dass alle Weichen richtig stehen und die Fahrt beginnen kann. Auf nach Duisburg.

Oliver Funke zieht weiter, er muss noch weitere Gänge kontrollieren. Sommer wie Winter herrscht in den Gängen und Stolen die gleiche Temperatur, etwa 20 Grad ist es warm. Ein blaues Licht leuchtet mitten im Tunnel — so sind hier unten die Notausgänge gekennzeichnet. Das hat einen einfachen Hintergrund — Sollte hier ein Feuer ausbrechen und der Schacht verrauchen, bleibt das blaue Licht sichtbar. Weiße Lampen würden im Qualm untergehen.

Doch neben den Tunneln, gibt es weitere Räume unter der Erde. ZAR steht an einer Tür geschrieben. Hinter dem Kürzel verbirgt sich der Aufenthaltsraum, in dem die Zugführer ihre Pausen verbringen. Gegenüber befinden sich die Toiletten — ein gemeinsames Klosett gibt es für Männer wie für Frauen. Als die Tunnel in den 70er Jahren entstanden, sei das Normalität gewesen, sagt Funke. Weil das Tunnelsystem tiefer liegt als die Abwasserleitungen, müssen die Fäkalien mittels Pumpen nach oben befördert werden.

Einen kurzen Blick wirft Oliver Funke in den Toilettenraum und setzt seinen Kontrollgang fort. Nicht mehr weit hat er es bis zum nächsten Bahnhof. Die Lichter der U-Bahn-Station unter dem Handelszentrum erscheinen schon am Ende des Ganges. Laub liegt hier herum, das die Züge von oben mit in die Unterwelt gebracht haben. Wieder gibt es ein dünnes Geländer, wieder führt eine schmale und edelstählerne Pforte auf den Bahnsteig. Funke geht zielstrebig zur Rolltreppe nach oben.

Es ist die längste Rolltreppe Düsseldorfs, die zur Station Handelszentrum führt. Als er oben ankommt, atmet er einmal tief durch, raucht eine Zigarette. „Eine kurze Pause am Tageslicht muss sein“, sagt er, bevor er wieder abtaucht in die Tiefen der Düsseldorfer Unterwelt, auf der einsamen Suche nach Störenfrieden und auf Kontrollgang durch die Tiefen der Großstadt, dem Herz der Infrastruktur.

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