Menschen des Jahres: 900 Überstunden bei der Mörderjagd

Die WZ stellt bis Silvester Menschen vor, für die 2011 ein besonderes Jahr war. Wie Udo Moll, der mit seinem Team den Doppelmord in Hassels aufklärte.

Düsseldorf. Udo Moll wird sich immer an diesen Tag im Januar erinnern können, als ein Ermittler der Mordkommission „Altenbrück“ in sein Büro kam und sagte: „Ich glaube, wir haben was.“ Dann hörte sich Moll, der Chef der Kommission, die Tonsequenz selbst an. Sie stammte aus dem verwanzten Auto des Mannes, den Moll seit Monaten des Doppelmordes in Hassels verdächtigte, ohne ihm etwas nachweisen zu können. Und jetzt hörte er diese bekannte Stimme, deren Klang er unzählige Stunden über das abgehörte Telefon verfolgt hatte, über die Tat sprechen. Ganz offen. Endlich. „Ich wusste sofort: Das ist es“, sagt der 45-Jährige.

Wenige Tage später ergehen die Haftbefehle: Johannes K. wird am 8. Februar festgenommen, der mutmaßliche Auftraggeber der Bluttat, Detlef W., zwei Tage später. Er soll den damals 22-Jährigen angestiftet haben, seinen Stiefvater (82) und dessen Tochter (39) im Juni 2010 an der Altenbrückstraße in Hassels zu erschießen. Inzwischen stehen beide Verdächtigen vor Gericht.

Für die Mordkommission krönten die Haftbefehle einen akribischen Ermittlungserfolg — vor allem aber beendeten sie einen monatelangen Kraftakt. In der Spitze arbeiteten 30 Beamte an dem Fall, abgestellt von zahlreichen Kommissariaten, denen dadurch selbst Personal fehlte. 7500 Überstunden häufte die Kommission bis zum Februar 2011 an, davon entfielen 900 auf Udo Moll. „Ich hatte in den acht Monaten zwei freie Wochenenden“, sagt der 45-Jährige. Die Arbeitstage dauerten oft von 7 bis 23 Uhr. Seine Harley verstaubte derweil in der Garage, mit seiner Band „So what“ gab es nicht einen einzigen Auftritt. Den Heiligabend 2010 verbrachten Moll und eine Kollegin mit einem Besuch bei Eleonore S., der Witwe des erschossenen Helmut S. und Mutter des verdächtigen Detlef W. — als Trost und Beistand. „Sie hat viel geweint“, erinnert sich Moll.

Von Anfang an arbeitete die Mordkommission auf Hochtouren. Sie fand am Tatort Unterlagen, die belegten, dass Helmut S. und seine Tochter den Sohn der Mutter enterben wollten — das Motiv! Wenige Tage nach der Tat wurde das Telefon von Detlef W. angezapft, mussten Beamte rund um die Uhr Gespräche abhören. Andere werteten die Kameraaufzeichnungen aller Tankstellen zwischen Düsseldorf und Hessen, wo W. lebte, aus. Wieder andere nahmen sich Bilder von Blitzern vor. „Da ist die Belastung total hoch“, sagt Udo Moll. Aber die Ermittler fanden rein gar nichts, um zu beweisen, dass W. in Düsseldorf gewesen war. „Für die Kollegen unfassbar frustrierend.“

Zumal die Motivation laut dem MK-Chef „enorm hoch“ war. Schließlich kannten sie alle die Bilder vom Tatort. Die Leichen von Vater und Tochter, denen der Täter kaltblütig in den Hinterkopf geschossen hatte. Je zwei Mal. Sie kannten auch die Aufzeichnung des Notrufes, den Tochter Mara S. noch gewählt hatte. Ihre Stimme, wie sie nach den ersten Schüssen verzweifelt fragt: „Papa, lebst du noch?“ Selbst Polizeipräsident Herbert Schenkelberg kam, um sich die Tonstücke anzuhören — und sich für den Einsatz der Kommission zu bedanken.

Erst im Sommer hat Udo Moll endlich Urlaub gemacht. Nachdem auch die 4300 Seiten starke Akte bei der Staatsanwaltschaft war. In drei Ausfertigungen, jede Seite von Hand gestempelt: „Das habe ich selbst gemacht.“

Auf Rügen machte er schließlich den Segelschein. Ohne seine langjährige Lebensgefährtin. Die Beziehung hatte dem achtmonatigen Ermittlungsmarathon nicht standgehalten. „Aber so einen Fall hat man ja höchstens einmal in zehn Jahren“, sagt Udo Moll — und es klingt wie eine Beschwörung. Jetzt hofft er auf ein „gutes Urteil“ gegen Johannes K. und Detlef W. Für die beiden Toten, für Eleonore S. — und ein wenig für sich selbst und sein Ermittlerteam.

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