Eine kleine Zeitreise auf der größten Kirmes am Rhein

Historische Fahrgeschäfte finden auch heute ihre Liebhaber. Eine kleine Zeitreise.

Düsseldorf. Eine ganz besondere Themenoase wurde in diesem Jahr inmitten der „Größten Kirmes am Rhein“ aufgebaut: historische Fahrgeschäfte. Wer will, kann eine Zeitreise unternehmen mit Raupenbahn (1926), Holzpferdekarussell (1878), Überschlagschaukel (1945), einem Auto-Scooter aus der Nachkriegszeit oder mit einer Turm-Rutschbahn von 1907.

Die Überschlagschaukel „Looping the Loop“ probieren am Mittwoch Klaus Zange und seine Nichte Georgia Maria aus. Die Siebenjährige bemüht sich sichtlich, mit ihrem Onkel Schritt zu halten und besonders hoch zu schaukeln. „Den Überschlag hat sie sich aber nicht getraut“, sagt Klaus Zange und lächelt. Auf der Schaukel selbst war er vorher noch nicht, hat sich aber von dem nostalgischen Fahrgeschäft an seine eigene Kindheit erinnern lassen. „Das Schaukeln geht aber ganz schön in die Beine, das hätte ich nicht gedacht“, urteilt er über den Kirmes-Spaß. In den anderen Gondeln versuchen sich neben Vätern auch immer wieder einzelne Kinder oder Geschwisterpaare zur Freude der Eltern im Überschlag. Und wer allein nicht genug Schwung hat, den schubsen die Angestellten des Fahrgeschäfts kräftig an.

„In der Raupenbahn habe ich das erste Mal geküsst“, erzählt Bruno Schmelter spitzbübisch lächelnd. Damals, 1951 durfte „laut Verordnung das Raupenverdeck auch nur wenige Sekunden über den jungen Leuten schließen, damit Sitte und Anstand gewahrt blieben“. Schmelter muss es wissen, er ist seit 30 Jahren der 1. Vorsitzende im Schaustellerverband Düsseldorfs (gegr. 1897) und mittlerweile in sechster Generation als Schausteller tätig. Bereits die siebte und achte Generation treten in seine Fußstapfen.

Dass die Raupe Anziehungspunkt für Halbstarke und pubertäre Liebespärchen war, können Corinna und ihr Lebensgefährte (beide Mitte 50) aus Solingen bestätigen: „Auch wir haben uns durch die Fliehkraft in der Raupe besonders eng aneinandergeschmiegt und haben das verdunkelnde Verdeck herbeigesehnt.“ Für beide war die Raupe der Treff auf der Kirmes, da es dort auch die neusten Rock’n’Roll-Titel zu hören gab. Beim Holzpferdekarussell sieht es mit den Erinnerungen nicht so lebhaft aus. Zwei Mütter setzen ihre kleinen Kinder auf die edlen Holzpferde, „weil’s so schön aussieht“. Und dann müssen die Kleinen auch noch ein paar Runden drehen, damit für die Verwandtschaft Fotos gemacht werden können.

Bruno Schmelter zeigt aus seinem reichhaltigen Archiv Fotos unterschiedlichster Karussell-Arten von verschiedenen Schausteller-Familien, die sich alle „irgendwie kennen oder verbandelt sind“. Die Zeitspanne der Abbildungen reicht dabei von 1900 bis in die 1950er Jahre. Die Techniken waren „Eigenantrieb“, „Dampfbetrieb“ oder „Diesel-Aggregat“, wenn man nicht vom örtlichen Energieversorger abhängig sein wollte. Eine Art Eigenantrieb ist die Überschlag-Schaukel aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. „Looping the Loop“ und ähnliche Namen waren damals sehr beliebt. Aber auch schon früher gab es diese Überschlag-Schaukeln, die von einer oder zwei Personen in „Käfigen“ in Schwung gebracht werden mussten, um sich dann einmal komplett um die Achse zu drehen. Pure Muskelkraft war hier angesagt — und 2012 feuern nun Rolf und Sibylle aus Mönchengladbach ihre beiden Jungs (10 und 12 Jahre alt) an, den Überschlag zu schaffen. „Das macht den beiden einen riesigen Spaß, wir mussten schon drei Mal herkommen, damit die Jungs ihre Kraft zeigen können.“ Gegenüber, bei Müllers „Selbstfahrer“ (auch Auto-Scooter genannt) geht es etwas ruhiger zu als auf anderen hochmodernen Fahrgeschäften, die nur noch entfernt an Raupenbahn, Pferdekarussells und Überschlag-Schaukel erinnern. Hier fährt man, auf einer riesigen Holzbalken-Konstruktion gelagert, zur eigenen Gaudi dem Vordermann genüsslich ins kleine Autoheck oder zeigt dem Enkel mal, wie man sich geschickt durch den Verkehr schlängelt.

Opa Manfred aus Duisburg hat hochrote Wangen, als er seinen Enkel Alexander (8) aus dem Wagen hebt, obwohl der noch gerne weitere Runden drehen möchte. „Ich war als Junge verrückt nach Selbstfahrer-Fahren und habe mein ganzes Taschengeld auf den Kopp gehauen.“ Etwas ungewohnt, aber doch früher sehr beliebt, ist die fünfte Nostalgie-Attraktion: die 24 Meter hohe Turmrutsche „Tobbogan“. Mit einem Laufband wird man nach oben getragen und rutscht dann in Spiralen hinunter — das gute alte Rutschvergnügen! Spaß ohne Würgegefühl und für Jung und Alt geeignet. Ein Schild am Eingang sagt: „Auf Wunsch wird jede Person hinaufbegleitet (damit niemand hinfällt). Auf Wunsch werden schöne Frauen nach Hause begleitet.“

Die zusammengelegte Nostalgie kommt gut an auf der Größten Kirmes am Rhein, auch wenn oft mehr geschaut als gefahren wird. So ist es für die Betreiber ein enormer Aufwand an Zeit und Geld, denn die alten Fahrgeschäfte bedürfen einer besonderen Pflege sowie aufwändigerer Wartungsarbeiten. Diese Nostalgie-Betriebe sind es, die wieder vermehrt einen neuen Reiz auf Kirmes-Vergnügungssüchtige erzeugen, aber keinen Gewinn bringen wie die „Immer-schneller-immer-höher“-Fahrgeschäfte.

Bruno Schmelter jedenfalls freut sich über die „Nostalgie-Ecke“ und lebt selber wieder auf, wenn man mit ihm anhand von alten Fotos und tausenden kleinen Geschichten dazu auf Zeitreise geht.

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