Dirk Bierholz: „Hilfloses Sicherheitspapier“

Dirk Bierholz und Benjamin Belhadj vom Fanprojekt über Gewalt im Fußball und die Rolle der DFL.

Düsseldorf. Das Düsseldorfer Fanprojekt um Leiter Dirk Bierholz wurde durch die „Arbeitsgruppe Qualitätssiegel“ ausgezeichnet. Pädagogisch arbeitende Fanprojekte müssen sich regelmäßig Kontrollen unterziehen. Zur Arbeitsgruppe gehören die Deutsche Sportjugend, die Koordinationsstelle Fanprojekte, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte, Wissenschaftler, DFL und DFB. Vor dem Spiel gegen Gladbach stellen Bierholz und Benjamin Belhadj ihre Arbeit mit den Fortuna-Fans vor.

Herr Bierholz, Herr Belhadj, worum geht es bei dem Qualitätssiegel genau?

Dirk Bierholz: Letztlich geht es um eine Bewertung: Wie wird gearbeitet? Unter welchen finanziellen und räumlichen Voraussetzungen? Wie ist das Fanprojekt mit Verein, Stadt und Polizei vernetzt? Was muss besser werden? Dafür hat eine Kommission unsere Arbeit vor Ort bewertet.

Mit dem Verein Fortuna haben sie nicht direkt etwas zu tun. Wie sieht Ihre Arbeit genau aus?

Bierholz: Grundsätzlich sind wir ausgebildete Sozialpädagogen, die professionelle Jugendarbeit leisten. Das fängt an mit unserem Fantreff im Haus der Jugend. Jugendliche können dort unsere Räume nutzen. Hinter jedem Angebot steckt aber auch ein pädagogischer Auftrag. Als wir zur Europameisterschaft nach Polen gefahren sind, haben wir nicht nur Fußball geschaut, sondern auch das Vernichtungslager Ausschwitz-Birkenau besucht. Benjamin Belhadj: Wichtig ist, dass wir unabhängig vom Verein sind. Wir werden im Gegensatz zu den Fanbeauftragten nicht von Fortuna bezahlt. Deswegen sprechen wir nicht für den Verein und haben eine unabhängige Meinung.

Wie sieht denn eine ganz normale Woche im Fanprojekt aus?

Bierholz: In der Regel haben wir zwei bis drei Mal die Woche geöffnet. Darüber hinaus nutzen verschiedene Gruppen unsere Räume für interne oder öffentliche Veranstaltungen: Ultras, der Supporters Club, der Arbeitskreis Fanarbeit — also die organisierten Fanklubs. Wir tauschen uns mit anderen Fanprojekten in anderen Städten aus und diskutieren aktuelle Fanthemen wie das DFL-Sicherheitspapier. Dazu nehmen wir vor den Spielen an Besprechungen teil und werden bei Sicherheitsfragen gehört.

Vor ein paar Jahren kamen 7000 Zuschauer nach Flingern, jetzt sind es mehr als 40 000 im Schnitt. Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?

Bierholz: Die Arbeit ist wesentlich mehr geworden. Vor allem dadurch, dass viele neue Fans und Gruppen dazugekommen sind, die die alten Fanstrukturen bei der Fortuna nicht kennen. Auch wir müssen uns da erst mal wieder bekanntmachen.

Ein Dauerthema ist die Gewalt um den Fußball. Nun versucht die DFL durch ein „Sicherheitspapier“ dagegen vorzugehen. Was halten Sie von den Ideen?

Bierholz: Zunächst möchte ich Fortuna positiv erwähnen. Als die meisten Leute noch nichts von dem Papier wussten, hat der Verein schon reagiert und eine offene Podiumsdiskussion mit Vorstand und Fans veranstaltet. Aus dieser ist ein Workshop entstanden, in dem die ablehnende Stellungnahme des Vereins gemeinsam mit der Fanszene verfasst wurde. Denn das DFL-Papier ist aus der Hilflosigkeit und ohne die Meinung der Fachleute entstanden. Fortuna hat es anders gemacht und ihre Fachleute einbezogen.

Welche inhaltlichen Punkte lehnen Sie ab?

Belhadj: Das geht schon mit der Diskussion um Stehplätze los. Bierholz: Wenn das so kommt, wird nicht nur die aktive Fanszene Amok laufen, sondern auch der normale Zuschauer. Wenn wir die Stehplätze abschaffen und dadurch die Stimmung zerstören, wird das der Marke DFL und ihrem „Produkt Fußball“, wie sie es immer nennt, schaden. Auch die Idee der Ganzkörper-Kontrollen vor den Stadioneingängen lehnen wir ab. Diese sind nicht nur rechtlich bedenklich, sondern bei 50 000 Zuschauern auch gar nicht umsetzbar. Dasselbe gilt für die Ausweitung der Stadionverbote auf zehn Jahre. Diese sind völlig unpädagogisch und haben keinen nachhaltigen Effekt.

Wie stehen Sie generell zur Gewaltdiskussion? Als jemand, der die 80er Jahre erlebt hat, können Sie doch über manches nur lachen.

Bierholz: Eher weinen. Wir haben mittlerweile eine Situation, dass jede Kleinigkeit durch die Medien so aufgebauscht wird, dass ständig von einer neuen Qualität der Gewalt und den schlimmsten Zuständen geschrieben wird. Politik und Vereine werden von einer Hysterie getrieben, die ich nicht nachvollziehen kann. Fakt ist, und das belegen auch die Zahlen der Polizei, dass es in den Stadien noch nie so sicher war wie heute.

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