Türsteher Heiko Dorloff: „Jeder kann Opfer werden“

Nach brutalen Attacken stellt sich die Frage: Wie sicher ist Düsseldorfs Nachtleben? Die WZ hat einen Türsteher begleitet.

Düsseldorf. Es ist Samstagabend und Heiko Dorloff packt aus. Der Hüne steht am Hinterausgang des Quartier Bohème an der Ratinger Straße und legt auf den Tisch, was er für die Nacht brauchen könnte: Das Pfefferspray hat der 46-Jährige „zum Glück noch nie“ gebraucht, die Handschellen schon. Das Funkgerät ist obligatorisch, Taschenlampe und Klappmesser eher nützlich.

Das Mini-Stroboskop soll einen potenziellen Gegner optisch verwirren und der Kubotan, eine asiatische Druckwaffe, die aussieht wie ein eiserner Kugelschreiber, bringt selbst Riesen dazu, stillzuhalten. Zuletzt legt Dorloff seine schnittsicheren Lederhandschuhe zu dem Arsenal: „Vor zwanzig Jahren brauchte ich nur die Handschuhe, die Zeiten sind leider vorbei.“

Dorloff ist Türsteher und Sicherheitschef im Quartier Bohème an der Ratinger Straße. Er sieht seit knapp 20 Jahren an vorderster Front, wie sich das Nachtleben verändert und kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: „Es wird immer brutaler.“

Die Fälle der jüngsten Vergangenheit bestätigen das: Am vergangenen Wochenende sticht ein Unbekannter mitten auf der Bolkerstraße mehrfach auf einen 22-Jährigen ein und eine junge Frau (22) wird an der Elberfelder Straße praktisch im Vorbeigehen Opfer einer Stichattacke mit einem Messer oder einer Spritze. Im September 2011 prügeln am Burgplatz zwei junge Männer einen Kellner (33) ins Koma — dabei wollte er nur einen Streit schlichten. Der Kellner überlebt mit schweren Hirnschäden.

Am 5. November der traurige Höhepunkt: Ömer H. (24) flieht nach einem Streit aus der Diskothek Checker’s an der Königsallee. Mehrere Männer verfolgen ihn, er stürzt in ein Schaufenster, verletzt sich am Hals. Die Täter treten weiter auf ihn ein. Ömer H. stirbt wenig später in der Uni-Klinik.

„Das ist eben das Nachtleben, da kommt es schon mal zu Streit“, sagt damals ein Mitarbeiter der Nobel-Disko. Polizeisprecher Markus Niesczery wird konkreter: „Es gibt die klare Tendenz, dass selbst von am Boden liegenden Opfern nicht mehr abgelassen, sondern nachgetreten wird.“ Die Brutalität hat eine neue Qualität erreicht, auch wenn die Gesamtzahl der Körperverletzungsdelikte laut Polizei rückläufig ist.

Bei Heiko Dorloff auf der Ratinger Straße lässt sich das nächtliche Treiben ruhig an. Der Sicherheitschef macht einen Rundgang, checkt alle Notausgänge und die Positionen seiner sieben Mitarbeiter. Eine Schlüsselstellung ist der Balkon über der Tanzfläche. Von hier oben hat ein Kollege den Saal im Auge und kann sofort Alarm schlagen, wenn Gefahr im Verzug ist. Doch noch wird friedlich getanzt und getrunken. Lediglich ein junger Mann im rosa Oberhemd fällt auf: „Den habe ich im Auge, er baggert aggressiv Frauen an.“ Übertreibt er es, werden Dorloff und die Kollegen ihn höflich hinausbitten. Wenn das nicht klappt, wird es unhöflich.

Flaschenhagel an der Tür, Schlägereien, Drohungen — auch mit Waffen — und Gewaltexzesse hat Dorloff schon erlebt. Auch am schicken Quartier, wo gegen Mitternacht gerade Fußballstar Mike Hanke mit Entourage eincheckt. Dorloff sagt: „Gewalt ist hier aber die Ausnahme. Wir haben schon ein anderes Publikum als auf der Bolkerstraße. Dort würde ich nicht arbeiten wollen.“

Die Türsteher auf der Meile der Sauftouristen und Junggesellenabschiede haben alle Hände voll zu tun. Gegen 2 Uhr tastet das Sicherheitspersonal des „Kuhstall“ und des „Oberbayern“ im Sekundentakt Gäste ab, lässt sich Handtaschen öffnen und kontrolliert Ausweise. Waffen sollen nicht in die videoüberwachten Läden gelangen. Bei einem kahlköpfigen Türsteher des „Oberbayern“ zeichnet sich unter dem Pullover eine schuss- und stichsichere Weste ab. Dorloff sagt: „Die trage ich an Karneval auch. Mit Messerattacken muss man rechnen.“

Ein junger Mann mit blutiger Nase wird von zwei Türstehern unsanft aus dem „Kuhstall“ befördert. Ihm folgt ein weiterer, der aber nicht einsieht, dass er gehen soll. Der Alkoholpegel ist hoch, die Hemmschwelle niedrig. Drei Türsteher müssen den Mann überwältigen. Die Polizei wird hinzugerufen. Um den Eingang herum stehen Gruppen junger Männer. Offensichtlich sind sie nicht in den Laden gekommen. Jetzt pöbeln sie herum, sind aggressiv. „Da kann ein falscher Blick oder ein falsches Wort genügen und schon wird man zum Angriffsziel“, sagt Dorloff. „Jeder kann Opfer werden.“

Dass es immer wieder zu Gewaltexzessen kommt, bei denen selbst auf Wehr- oder Bewusstlose eingetreten wird, erklären sich Psychologen und Sozialpädagogen mit Frustbewältigung: Die meist jungen Täter — oft mit Migrationshintergrund — reagieren ihren inneren Groll über eigene Chancenlosigkeit oder Minderwertigkeitsgefühle an einem zufällig ausgewählten Opfer ab.

Alkohol wirkt dabei enthemmend. Dorloff hat beobachtet, dass die meisten Gewalttäter im Nachtleben aus Gruppen heraus handeln. „Die Gruppe verleiht Stärke, andererseits will man vor ihr nicht das Gesicht verlieren und zurückstecken.“

Christine Lüer (28) und Michael Leven (29) kommen zu später Stunde aus der Kneipe „Engel“ auf der Bolkerstraße. Sie lassen sich von den brutalen Attacken der letzten Monate nicht die Feierlaune verderben: „Wir haben keine Angst. Es kommt aber darauf an, in welche Läden man geht. Und wie lange man bleibt“, sagt Lüer. Denn je später der Abend, desto alkoholisierter und aggressiver die Partygänger. Und Leven ergänzt: „Man ist schon oft Provokationen ausgesetzt. Da hilft manchmal nur, den Mund zu halten und das zu ignorieren.“

Türsteher und Familienvater Dorloff dagegen kennt die Angst vor Schlägern: „Sie ist nichts Schlechtes.“ Dadurch sei man auf alles vorbereitet. An diesem Samstagabend muss er allerdings nur einen Betrunkenen aus dem Club begleiten — und er braucht dazu nur seine Handschuhe.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort