Verwaltungsgericht: „Keine Jahreskarte für Aufmärsche“

Gerd Ulrich Kapteina vom Verwaltungsgericht erklärt die Dügida- Entscheidungen — und weist die Kritik daran zurück.

Wenn die Dügida durch die Innenstadt zieht, sorgen weniger als 100 Demonstranten jedes Mal für erheblich Verkehrsbehinderungen.

Wenn die Dügida durch die Innenstadt zieht, sorgen weniger als 100 Demonstranten jedes Mal für erheblich Verkehrsbehinderungen.

Foto: Young

Düsseldorf. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts rund um Dügida sorgen für viele Debatten. Angefangen hat alles mit der Ankündigung von Oberbürgermeister Thomas Geisel, während der ersten Dügida-Demo das Licht an den öffentlichen Gebäuden auszuschalten. Zudem rief er zur Teilnahme an einer Gegen-Demo auf.

Gerd Ulrich Kapteina ist Sprecher des Verwaltungsgerichtes.

Gerd Ulrich Kapteina ist Sprecher des Verwaltungsgerichtes.

Foto: Michaelis

Die Richter erklärten das für unzulässig. Geisel sei zur politischen Neutralität verpflichtet. Worauf dieser ankündigte, sich an den Richterspruch nicht zu halten und das Licht trotzdem ausschalten zu lassen. Dies ließ das Oberverwaltungsgericht schließlich zu. Über diese und andere Richtersprüche zu Dügida sprachen wir mit Gerd Ulrich Kapteina, zuständig für die Pressearbeit bei Gericht.

Herr Kapteina, das Verwaltungsgericht steht seit Monaten in der öffentlichen Kritik. Haben Sie das so eigentlich schon mal erlebt?

Gerd Ulrich Kapteina: Wir haben öffentliche Kritik insofern durchaus erwartet, da das Verwaltungsgericht durch das Aktivwerden von Dügida wiederholt Fragen zum Versammlungsrecht entscheiden musste. Wir haben dabei die rechtlichen Maßstäbe anzulegen, die das Bundesverfassungsgericht anlässlich der Demonstrationen zum Nato-Doppelbeschluss und zum Atomkraftwerk Brokdorf erarbeitet hat. Dabei hat das Gericht sehr weitgehende Rechte definiert. Diese Maßstäbe gelten bis heute, geändert haben sich aber die politischen Inhalte. Manche Menschen sind überrascht und erbost, wenn Rechtsextreme die Rechte nutzen, die von anderen in den 80er-Jahren erstritten worden sind.

Das Gericht hat Geisel ermahnt, dass er politisch neutral sein müsse. Ist es in der Tat aber nicht so, dass Geisel sogar die Pflicht hatte, für die Gegen-Demo zu werben und sich schützend vor die Demokratie zu stellen — angesichts der Tatsache, dass Dügida offensichtlich von Neo-Nazis gesteuert wird?

Kapteina: Die Frage der Reichweite der Neutralitätspflicht von behördlichen Spitzenkräften ist in der Rechtssprechung noch nicht abschließend geklärt, die Meinungen gehen da auseinander. Das Verwaltungsgericht hat sich zugunsten der Neutralitätspflicht positioniert, das Oberverwaltungsgericht hat die Frage am Ende offen gelassen. Der Oberbürgermeister und der Gerichtspräsident haben sich inzwischen dazu ausgetauscht — insofern will ich dazu auch nichts weiter sagen.

Für Verwunderung hat auch gesorgt, dass sich Gerichtspräsident Andreas Heusch — der sich in der Öffentlichkeit sonst zurück hält und auch bei diesem Interview Ihnen den Vortritt lässt — in diesem Zusammenhang in der FAZ geäußert hat. Geisel gefährde den Rechtsfrieden, er gehe an das „Eingemachte des Rechtsstaates“. Viele Düsseldorfer glauben indes, dass Geisel sich schützend vor den Rechtsstaat gestellt habe und insofern vorbildlich gehandelt habe.

Kapteina: Darüber haben sich die beiden ausgetauscht, so dass ich nichts weiter dazu sagen will. Wichtig ist, dass die beiden Institutionen — Stadt und Verwaltungsgericht — Einvernehmen erzielt haben.

In den folgenden Wochen gab es Auseinandersetzungen über die Route von Dügida. Die Polizei hat mehrfach versucht, den Weg zu ändern — das Verwaltungsgericht dies stets kassiert. Warum?

Kapteina: Das Bundesverfassungsgericht hebt stets hervor: Vorbehaltlich der Schwelle der Gewalt und sittenwidriger Provokationen ist das Recht der freien Meinungsäußerung und des Versammlungsrechtes politisch neutral. Wie viel Freiheit kann die Demokratie auch den Feinden der Freiheit gewähren? Selbst aus diesem Blickwinkel gewährt das Verfassungsgericht weitreichende Meinungs- und Versammlungsrechte. Offenbar in der Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft ausreichend wehrhaft ist.

Können Sie die Kritik an den richterlichen Entscheidungen verstehen?

Kapteina: Die Kritik, insbesondere der betroffenen Geschäftsleute und der Anwohner, ist durchaus nachvollziehbar. Gleiches gilt für die Verkehrsteilnehmer, der ich auch bin. Da fragt man sich: Muss das alles sein? Aber dies wird uns von der Demokratie zugemutet.

Aber gilt nicht auch beim Versammlungsrecht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit? Es gibt doch kein Recht darauf, mit wenig Demonstranten möglichst große Verkehrsbehinderungen zu erzeugen — und das Woche für Woche.

Kapteina: Zunächst gilt der Grundsatz, dass den Veranstaltern der Aufmärsche das Selbstbestimmungsrecht zu Ort, Zeit, Art und Inhalt der Demonstration zusteht. Im Hinblick auf zukünftige Veranstaltungen kann ich nichts sagen, das ist Sache der Richter, die damit befasst werden. Klar ist aber, dass das, was bisher entschieden wurde, keine Jahreskarte für alle zukünftigen Aufmärsche bedeutet. Die entscheidende Frage dürfte sein, ob und inwieweit durch die Demonstrationen entgegenstehende Rechte Dritter eingeschränkt werden. Auch Fragen des Verkehrs könnten eine Rolle spielen. Aber ich will vor großen Erwartungen warnen: Es gibt bisher keine höchstrichterliche Entscheidung, wonach eine Versammlung mit der Begründung unterbunden wurde: Ihr habt genug demonstriert. Und: Das Versammlungsrecht soll Minderheiten und Andersdenkende schützen. Es dürfte schwierig sein, einer Gruppierung vorzuwerfen, dass sie eine Minderheit ist.

Zuletzt ging es bei den juristischen Auseinandersetzungen um die Frage, ob Dügida an zwei Moscheen vorbeiziehen darf. Die Polizei wollte das verhindern, das Verwaltungsgericht kippte auch diese Entscheidung. Auch daran gab es deutliche Kritik.

Kapteina: Ja, Thomas Geisel etwa hat sein Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, es handele sich um eine Provokation seitens Dügida. Diese Einschätzung ist verständlich. Aber: Das Versammlungsrecht umfasst auch das Recht auf Provokation, weil diese ein typisches Mittel ist, um auf den eigenen Standpunkt aufmerksam zu machen. Dies war etwa Thema bei der aktuellen Diskussion um den Gebrauch von Karikaturen. Die Verbotsschwelle liegt bei „sittenwidrigen Provokationen“ und wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit der NS-Gewaltherrschaft identifiziert und/oder andere Bürger einschüchtert. Mit Blick auf die Geschehnisse vorigen Montag möchte ich noch betonen: Es gibt kein moralisches und über der Rechtsordnung stehendes Recht, bei den Aufzügen Gewalt gegen Polizeibeamte auszuüben. Eine solche ideologische Selbstüberhöhung ist schlichtweg kriminell.

Wilfried Johnen, Geschäftsführer des NRW-Zentralrates der Juden, ist laut eines Zeitungsberichtes entsetzt über die Entscheidung des Gerichtes, dass Dügida an Moscheen vorbei laufen durfte. Es sei nicht angemessen, dass Betende mit Polizeischutz in die Moscheen geleitet werden müssten. Die Richter versteckten sich hinter Paragrafen, statt ihren Ermessensspielraum zu nutzen.

Kapteina: Die Richter haben keinen Ermessensspielraum. Sie müssen die Vorgaben des Verfassungsgerichts anwenden. Und in Anwendung dieser Grundsätze muten wir insbesondere unseren jüdischen Mitbürgern — gerade auch mit Blick auf die deutsche Vergangenheit — einiges zu. Das sind dramatische Auswirkungen unserer Demokratie. Natürlich ist auch die Sorge nachvollziehbar, dass sich unser System auf diesem Wege selbst abschafft. Aber wir sind eine gestandene Gesellschaft, die sich durch Freiheitsrechte gegenüber jedermann, der sich nicht strafbar macht, auszeichnet. Das Bundesverfassungsgericht gewährt dieses weitreichende Versammlungsrecht offenbar in der Erkenntnis, dass unsere freiheitliche Gesellschaft einen ausreichend breiten Rücken hat.

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