Aus Afghanistan auf die deutsche Schulbank

Wie und wo bringt man die Flüchtlingskinder in Krefeld richtig unter? Ein Bericht aus dem Alltag.

Aus Afghanistan auf die deutsche Schulbank
Foto: EPA

Krefeld. Vor dem Büro von Ursula Müller (Name von der Redaktion geändert) wartet ein dunkelhäutiger junger Mann mit ein paar Papieren in der Hand. Die Pädagogische Mitarbeiterin des Kommunalen Integrationszentrums ruft ihn herein. Sie kennt ihn und weiß, dass er unbedingt aufs Gymnasium will, denn der 16-Jährige hat ein klares Ziel vor Augen: Er will Medizin studieren.

Ursula Müller, selber Lehrerin in Krefeld, betreut Flüchtlingskinder und weist sie nach einer Einstufung den für sie passenden Schulen in Krefeld zu. Eigentlich. Wenn denn genug Kapazitäten da sind.

Doch seit dem Jahresbeginn sind diese Kapazitäten erschöpft. Es kommen einfach zu viele Flüchtlingsfamilien — aus Südosteuropa, aus den Krisengebieten Syrien oder Afghanistan. 156 allein seit Schuljahresbeginn und nur in der Altersklasse 10 bis 16 (Sekundarstufe I), für die Müller zuständig ist.

Dafür, dass der Junge aus Afghanistan erst seit vier Monaten in Deutschland ist, spricht er gut Deutsch. Doch nicht so gut, dass er ein qualifiziertes Zeugnis von seiner Hauptschul-Klasse 9 erwarten kann. Auf dem Halbjahreszeugnis stehen statt Noten oft nur Sternchen.

Er verspricht Ursula Müller, dass er sich anstrengen wird, schon jetzt zusätzliche Deutschkurse besucht und auch in den regulären Fachunterricht an der Hauptschule geht, damit er nächstes Schuljahr auf die Gesamtschule wechseln kann. Denn er will ja Medizin studieren.

Müller möchte dem aufgeweckten zielstrebigen Kerl gerne helfen, doch sie weiß nicht wie. Nächstes Schuljahr ist er 17 und damit nicht mehr schulpflichtig. Die Berufskollegs Vera Beckers und Glockenspitz nehmen ältere Jugendliche auf. Bei den Gesamtschulen hingegen macht derzeit nur die Kurt-Tucholsky-Gesamtschule mit einem DAZ-Angebot mit (Deutsch als Zweitsprache).

Und die Gesamtschulen werden demnächst noch mehr Zulauf haben, weil die Hauptschulen, die bisher sehr eng mit dem Integrationszentrum zusammengearbeitet haben, auslaufen.

Von dem Ziel, die Flüchtlingskinder schulform-passend zuzuweisen, musste die Pädagogin sich ohnehin im Laufe des Schuljahres verabschieden. Es sind einfach zu viele. Normalerweise schaut sie sich die Papiere an, - wenn vorhanden — die letzten Zeugnisse und versucht besondere Talente (Sprachen, Sport, Musik) zu ermitteln. Dann weist sie die Kinder einer Schule mit DAZ-Angebot zu. Dort besuchen die Schüler gemischte Klassen und lernen in den DAZ-Kursen Deutsch — mal nach Lehrbuch, mal beim Kochen oder beim Spielen.

Seit Anfang des Jahres sind diese Kurse voll, jetzt gibt es „Seiteneinsteigerklassen“. Müller: „Da geht es nur noch um die Unterbringung. Wir schauen, welche Schule hat noch Räume frei.“ Das waren in Krefeld das Moltke- und das Ricarda-Huch-Gymnasium. Dort sind derzeit 20 Flüchtlingskinder zur sogenannten Erstförderung untergebracht. Da sie aber nicht alle aufs Gymnasium gehören, werden sie zwangsläufig nach zwei Jahren, wenn die Förderung ausläuft, wechseln müssen. Wie die Kinder damit zurecht kommen, das werde man sehen müssen, sagt Müller.

Hinzu kommt, dass die Schulen gar nicht über Erfahrung mit solch heterogenen Gruppen verfügen und zum Teil auch kein geeignetes Personal haben. Zwar gibt es Integrationsstellen, die die Bezirksregierung genehmigt — aber nur zu Beginn eines Schuljahres. Das Moltke habe nicht mal einen Sozialpädagogen. Müller: „Mit Ankommen hat das nichts zu tun.“

Umso wichtiger seien Patenschaften, die deutsche Schüler übernehmen und viele Ehrenamtler, die den Kindern und Jugendlichen helfen wollen. Eine echte Alternative sieht Müller aber nur in einem „DAZ-Zentrum“. Räume und Lehrer gebe es genug. Dort könne man die Kinder sehr gut fördern. Aber die Bezirksregierung erlaube es wegen der damit verbundenen Separierung der Kinder nicht. Müller: „In den Seiteneinsteigerklassen sind sie derzeit auch getrennt von den anderen Schülern.“

Der junge Afghane jedenfalls weiß, was er will. Und was er nicht will: „Ich möchte nicht ins Berufskolleg, die Schüler rauchen und trinken.“ Ob er sein Ziel, Medizinstudium, in seiner neuen Heimat schafft, bleibt ungewiss.

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