Das verwunschene Häuschen im Wald

Vor 100 Jahren war es das Zuhause des Stadtwaldpförtners — heute wohnt und wacht dort der Künstler Chris Worms mit seiner Partnerin Birgit Schlechter.

Das ehemalige Wärterhaus am Eingang des Stadtwalds wurde von Künstler Chris Worms so hergerichtet...

Das ehemalige Wärterhaus am Eingang des Stadtwalds wurde von Künstler Chris Worms so hergerichtet...

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Es gibt schon lange keinen Wärter mehr am Stadtwald? Weit gefehlt. Es gibt einen: Chris Worms. Er übernimmt nicht die gleichen Aufgaben wie das Ehepaar, dass vor 100 Jahren im Wärterhaus wohnte und das Tor auf- und zusperrte. Worms hingegen wacht gemeinsam mit seiner Partnerin Birgit Schlechter über ein Stück Geschichte. Das kleine, verwunschene Häuschen war 1994 völlig heruntergekommen, als Worms die Ruine übernahm. „Der Baustil ist nicht niederrheinisch. Der Architekt wollte etwas Märchenhaftes rüberbringen. Mein Ziel war es, das auch wieder rauszukitzeln“, erklärt Bildhauer Worms.

... dass es fast wieder aussieht wie auf der Postkarte aus den 30er Jahren.

... dass es fast wieder aussieht wie auf der Postkarte aus den 30er Jahren.

Das hat er geschafft. Der Garten wäre auch ohne das Haus Grund für einen Besuch. Dort eröffnet sich ein exotischer Mini-Kosmos. Es gibt Feuerstätten aus Äthiopien und Sri Lanka. Neben dem afrikanischen Buschkiosk lehnt ein Mayakalender an einer Palme. Die ausgestellten Stücke stammen meist aus Worms Fantasie. Gereist ist er bisher nur einmal, nach Sri Lanka. „Ich baue mir die Welten an das Haus dran. Ich kann nicht reisen, weil ich kein Geld habe und auch keine Zeit. Dieses Idyll beizubehalten, ist ein Vollzeitjob.“

Vier Katzen räkeln sich auf einem Tisch. Die sind ihm zugelaufen und haben in Haus und Garten ein neues Zuhause gefunden. Obwohl überall Möbel und Kunst stehen, wirkt es nicht chaotisch, alles scheint zu einem großen Ganzen zu gehören. „Hier gibt es nichts, das ich nicht gemacht hätte“, sagt Worms. Dazu gehören auch Lampen, die er aus Straußeneiern fertigt, die er von einer Farm aus Kenia bezieht. 180 Nationalitäten waren schon zu Gast in Worms besonderem Haus. „Die stranden einfach hier, plötzlich stehen sie vor der Tür.“

Der Künstler hat vor 20 Jahren mit 60 Mark in der Tasche angefangen, die Ruine zu sanieren. „Der damalige Leiter der Denkmalpflege hat mich darum gebeten. Ich habe ihm gesagt, dass ich kein Geld habe und dass mir die Bank auch nichts gibt. Er hat gesagt: ,Ich helfe dir.’ Ein paar Tage, nachdem ich den Vertrag unterzeichnet habe, starb er“, sagt Chris Worms.

Da stand er nun in einer Ruine. Im Keller des Gebäudes watete er knietief in Gülle und konnte durch das Dach des Hauses in den Himmel schauen — der Garten war eine Müllhalde. „Inzwischen hatte ich mich so an den Gedanken gewöhnt, das Haus zu restaurieren, dass ich dabei geblieben bin. Ich habe weiter als Restaurator gearbeitet und das Geld, das übrig war, hier reingesteckt. Es gab keinen Urlaub und keine Wochenenden.“

Worms hat alles alleine gemacht, bis auf die Gas - und Wasserinstallation. „Ich habe asketisch gelebt.“ Anfangs wohnte er noch in einer kleinen Stadtwohnung, aber als Vandalismus und Materialdiebstähle überhandnahmen, zog er in eine selbstgebaute Hütte im Garten. Erst nach sechs Jahren Arbeit konnte er mit Partnerin Birgit Schlechter in die erste Etage des Hauses ziehen. Kurzerhand wurde die Hütte zur Küche umgewandelt. Als es die auch im Haus gab, wurde die Hütte zur Goldschmiede für Künstlerin Schlechter.

Warum die Wahl für die Restaurierung auf Chris Worms gefallen ist, liegt an seinen Fähigkeiten. 18 handwerkliche Berufe beherrscht der Künstler. „Um mein Studium zu finanzieren, habe ich unter anderem als Steinmetz, Schlosser, Schmied und Schreiner gearbeitet.“ Einen Namen hat er sich gemacht, indem er Dinge restauriert hat, die andere bereits abgeschrieben hatten. Mit den Restaurierungen hat er dann das Material für das Wärterhaus finanziert.

Worms hat das Haus aber nicht nur saniert und wohnlich gemacht. Der Bildhauer hat das Haus äußerlich so wiederhergestellt, wie es 1901 ausgesehen hat. Seine Vorlagen waren Postkarten. Im Inneren war allerdings nicht mehr viel erhaltenswertes, dort beginnt der Raum für Kreativität. Die Holztreppe, die in die obere Etage führt, hat Worms aus einem Baum gefertigt. „Das war die letzte Ulme, die im Stadtwald gefällt wurde.“ Auf den ersten Blick ist das Haus einfach schön, sowohl innen als auch außen. Auf den zweiten Blick erkennt der Besucher in all den Details den Perfektionismus und in der Zusammenstellung die Kunst. Chris Worms hat nicht nur etwas Historisches erhalten, er hat ein neues Kunstwerk geschaffen und wacht darüber, hält es instand und öffnet seine Türen, damit jeder Mensch daran teilhaben kann.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort