Ein neues Leben mit anderer Blutgruppe

Christine Meiser hat den Kampf gegen die Leukämie gewonnen.

Krefeld. Wunder, gibt’s die? Engel, gibt’s die? Für Christine Meiser auf jeden Fall, denn sie ist in diesem Jahr wiedergeboren worden. Der Krankenschwester des Uerdinger Josefshospitals war genau vor einem Jahr — am 22. Dezember — im Klinikum Leukämie diagnostiziert worden. Und zwar in ihrer schlimmsten Form: AML M6-Erythroleukämie. Die 54 Jahre alte Mutter von drei erwachsenen Kindern brauchte einen Spender, dessen Knochenmark zu 100 Prozent mit ihrem übereinstimmte. Es gibt ihn — in Hameln an der Weser.

Der Engel begegnete Christine Meiser im Frühjahr in Gestalt von Meta Metz, der Vorsitzenden von „Sonne, Mond und Sterne“. Denn der Verein übernahm die Kosten der Typisierung von 188 Knochenmarkspendern aus Krefeld, St. Tönis und Meerbusch: JedeLaboruntersuchung des Spender-Knochenmarks kostet 50 Euro. Allein 99 Testpersonen hatten die beiden Töchter Katarina (34) und Olivia (26) sowie Sohn Damian (26) mobilisiert, etwas mehr kamen bei der Kolleginnen-Aktion „Typisierung für Schwester Christine“ zusammen, initiiert von Schwester Erika Möller und der Ärztin Dr. Marion Neidhöfer. Eine Reihe Spender zahlten die Untersuchungskosten aus eigener Tasche. Am 28. April berichtete die WZ erstmals über den Beginn der Suche nach dem übereinstimmenden Typ für Schwester Christine.

Das Wunder: Binnen weniger Wochen hatte die Deutsche Knochenmarksspender-Datei in Köln auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen einen Volltreffer gelandet: Keiner der engsten Verwandten der Patientin, keiner der Spender vom Niederrhein war es, sondern ein Mann um die Dreißig aus der Rattenfänger-Stadt.

Noch kennt Christine Meiser seinen Namen nicht: „Drei Jahre lang sollen Spender anonym bleiben“. Der Hamelner hatte ein „tolles Transplantat“ zu bieten, wie Schwester Christine es nennt: „Es hatte 16 Millionen Zellen.“ Transplantierende Ärzte freuen sich über acht bis zehn Millionen Zellen, operiert wird bisweilen schon bei sechs Millionen Zellen.

Christine Meiser, die eine Knochenmarksspende bekam

Am 17. August kam Christine Meiser in die Uni-Klinik Essen. „Dann fing die Hölle an“, erinnert sie sich. Sie sollte aber nur einen Monat dauern. Sie bekam Cortison, Morphium und Chemo-Therapie: „Plötzlich konnte ich nichts mehr sehen“. Das Morphium erhält sie gegen die höllischen Knochenschmerzen.

Die Fenster in dieser Station sind doppelt verglast, die Türen schallisoliert. „Man hört keine Geräusche“. Die Transplantationspatienten dürfen ihre Zimmer nicht verlassen, jeden Tag bekommen sie sterilisierte Kleidung. „Das Essen ist auch sterilisiert“. Schwester Christine erfuhr, dass in dieser Station Menschen sterben. Den 24. August nennt sie ihren „zweiten Geburtstag“: Der Tag der Knochenmarksplantation. „Danach war ich ein halber neuer Mensch“. Früher hatte Christine Meiser die Blutgruppe B positiv, jetzt ist sie A positiv.

Injizierte Kaninchen-Antikörper (ATG) sollen immunologische Abwehrreaktion unterdrücken. „Ich habe mir gesagt: du bekommst weder Fieber noch Pilz in Mund und Rachen.“ Hätte ihr Körper das fremde Knochenmark abgestoßen, wäre der junge Mann aus Hameln wieder zur Spende gebeten worden. Das war aber nicht nötig. So konnte sie schon am 17. September aus der Klinik entlassen werden. Inzwischen steht sie wieder sicher auf den Beinen, zwingt sich, täglich drei Liter Wasser zu trinken, auf Nüsse, frisches Obst oder Gemüse zu verzichten. Tiefgefroren soll die Nahrung sein, mit Einweg-Handschuhen zubereitet — drei Jahre lang. Man kann fast sicher sein: Christine Meiser wird so lange nicht brauchen. Am 1. Dezember beendete sie die letzte wöchentliche Untersuchung in Essen. „Ich bin erst wieder am 30. Dezember dran“, jubelte sie. Morgen wird sie 55 Jahre alt.

Hier wäre die Geschichte zu Ende, wenn nicht unlängst ein Brief der gesetzlichen Krankenkasse Schwester Christine in ihrer Fischelner Wohnung erreicht hätte. Sie wird darin gebeten, Leistungen zur Rehabilitation zu beantragen, da „laut medizinischem Gutachten Ihre Erwerbstätigkeit gegenwärtig erheblich gefährdet bzw. gemindert“ ist. Und dann kündigt das Krankengeldzentrum der KKH an, dass „bei nicht erfolgreicher Rehabilitation oder von vornherein nicht zu erwartetendem Reha-Erfolg“ der Antrag auf medizinische Leistungen als Rentenantrag gelte.

Christine Meiser: „Mein Sohn Damian war Zeuge, als mir die Ärztin in Essen gesagt hat, dass bei Transplantationsfällen eine Reha nicht geeignet sei. Diese Meinung vertritt auch Marion Neidhöfer vom Josefshospital.“ Grund: Reha-Kliniken können die Sterilität von Räumen, Textilien und Nahrung nicht hundertprozentig gewährleisten. Die Reha könnte zu einer Gefahr für die Patientin werden. Die fragt sich „Wie ahnungslos sind Krankenkassen-Mitarbeiter?“ Und: „Ich will keine Rente, ich will wieder arbeiten, möglichst bald.“

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