Stunde Null in Krefeld Ein paar Uerdinger saßen zwischen den Fronten

Im April 1945 waren die Gebiete am Rhein von den US-Truppen evakuiert worden. Nur eine Handvoll durfte damals bleiben.

Krefeld. Vor 70 Jahren liegen die heutigen Rhein-Stadtteile Krefelds wie ausgestorben da. Seit fast einem Monat haben die amerikanischen Besatzer den Streifen am Strom evakuiert: Tausende Bewohner mussten ein paar wenige Sachen zusammenpacken, im Zweifel Tiere einsammeln und wurden binnen weniger Stunden östlich der Stadt, zum Beispiel in St. Tönis auf Gehöften oder bei Verwandten, untergebracht. Wer den Befehl ignorierte, musste mit schwerster Strafe rechnen. Nur eine handvoll Uerdinger durfte bleiben, darunter der heute 75-jährige Lutz Krekels.

Stunde Null in Krefeld: Ein paar Uerdinger saßen zwischen den Fronten
Foto: Sammlung Krekels

Bereits sechs Wochen ist es zu dem Zeitpunkt her, dass die Amerikaner die Stadt am linken Flussufer besetzt haben. Die verbliebenen deutschen Truppen, sowie die Führungsriege der Nationalsozialisten hatten sich über die Uerdinger Brücke auf die rechte Seite geflüchtet und in den frühen Morgenstunden des 4. März die Brücke gesprengt. Damit hatten die linksrheinischen Kämpfe geendet. Nicht aber die Gefahr für die Bewohner. Denn vom rechten Rheinufer schießen jetzt die ehemaligen Verteidiger auf die Stadt: mit Kanonen oder Scharfschützen. Das Gebiet ist Teil des Ruhrkessels, um den die Alliierten einen Ring ziehen, ehe die deutschen Truppen heute vor 70 Jahren kapitulierten.

„Wir wussten nicht, wer gerade schießt“, erinnert sich Lutz Krekels an diese surrealen Wochen, in denen er und seine Familie praktisch zwischen den Fronten lebten. Die Familie betrieb das Bootshaus am Rheinufer, doch an Ausflüge war schon seit einiger Zeit nicht mehr zu denken. Auch der Schiffsverkehr auf dem Rhein war bereits Wochen zuvor zum Erliegen gekommen — niemand wollte ins Kreuzfeuer geraten.

Mit den Krekels waren es nur drei oder vier andere Familien, die in den Häusern an der Firma Dreiring lebten. „Vermutlich dachten sich die auf der anderen Seite, dass es Munitionsverschwendung wäre, auf uns zu schießen“, spekuliert Krekels. Stattdessen wurde auf Linn und den Ortskern von Uerdingen gefeuert. Dennoch: „Sobald sich auf der anderen etwas rührte, gingen wir natürlich in Deckung“, sagt Lutz Krekels. Absurderweise bot der Bunker bei Dreiring den besten Schutz, der einst gegen alliierte Bomber gebaut worden war und nun gegen die eigenen Soldaten herhalten musste. Mit dabei waren oft auch US-Soldaten — „mit denen haben wir uns prächtig verstanden“, so Krekels heute, „die waren völlig unkompliziert.“ Und sie hatten Schokolade dabei.

Nach dem endgültigen Ende der Kämpfe, kamen dann auch die Nachbarn in Uerdingen, Linn und Gellep zurück. Doch es dauerte noch einige Zeit, bis sich das Leben wieder normalisiert hatte. „Ist ja auch kein Wunder, schließlich hatten wir jeden Tag die zerstörte Uerdinger Brücke vor Augen. Das ging alles richtig unter die Haut“, sagt Krekels. Sein Vater kehrte 1947 aus Russland zurück. Dann konnte der Aufbau beginnen und bald wollten die Krefelder auch wieder auf dem Rhein Boot fahren.

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