Fahndungspanne: Der Falsche im Fadenkreuz

Nach einer erneuten Panne mit Fahndungsfotos will Amtsrichter Wolfgang Thielen die gängige Praxis überdenken.

Krefeld. „Nach Dir wird gefahndet. Schau mal in die Online-Ausgabe der WZ“. Mit diesen Worten riss ein Freund den Drummer der Band „Planet Five“ und Schlagzeug-Bauer bei Kirchhoff Schlagwerk am Dienstagmittag aus dem Alltagsgeschäft. Christian „Gory“ Gorissen war entsetzt: Der Anruf war kein Witz. Das Fahndungsfoto zeigte ihn mit Mütze vor dem Geldautomaten.

Der 40 Jahre alte zweifache Familienvater stand im Verdacht, zusammen mit zwei anderen Männern, mutmaßlichen Handlangern einer von Südosteuropa aus agierenden Betrügerbande, den Geldautomaten der Sparkasse am Sprödentalplatz manipuliert zu haben, und zwar zwischen dem 26. und 28. November 2010. Kurz darauf wurden mit gefälschten EC-Karten umgerechnet mehr als 14 000 Euro an Geldautomaten in Nairobi (Kenia) abgehoben.

Die Anzeigen der Geschädigten, waren nach mehrwöchiger Verzögerung um die Weihnachtszeit bei der Polizei eingegangen. Aber erst im August, acht Monate später, gab Amtsrichter Wolfgang Thielen, das Bild in diesem „Skimming-Fall“ zur Veröffentlichung frei. Nur per richterlichen Beschluss kann das Bankgeheimnis aufgehoben werden. Es verstrichen weitere zwei Monate.

Christian Gorissen machte sich nach der Entdeckung sofort auf zur nächsten Polizeidienststelle: „Erst wollte man mir gar nicht glauben. Einer Beamten erklärte: ,Sie haben das gewisse Äußere. Sie passen zu den beiden anderen Männern.’“ Noch während Gorissen seine Unschuld beteuerte, rief ein Sparkassen-Mitarbeiter, der ebenfalls das Foto im Internet gesehen hatte, bei der Polizei an: „Das ist ein Kunde von uns“.

An jenem Novembertag hatte Gorissen seine EC-Karte in den Schlitz gesteckt: „Ich musste sie ungewöhnlich tief einführen. Das kam mir verdächtig vor, ich brach den Geschäftsvorgang ab.“ Kurz danach bekamen mehrere Nutzer dieses an der Außenwand montierten Automaten unaufgefordert neue EC-Karten von der Sparkasse, auch ein Freund des Musikers: „Da war klar, dass herumgefummelt worden war.“

Sieben Stunden nach dem Eingang der Fahndungsmeldung bei der WZ, um 16.42 Uhr, entschuldigte sich die Pressestelle der Polizei ganz öffentlich „bei dem auf diesem Foto zu Unrecht abgebildeten Mann“. Das Bild wurde augenblicklich aus dem Presse-Portal der Krefelder Polizei im Internet entfernt, dessen Meldungen auch an 150 Empfänger per Mail verschickt werden, darunter überregionale Boulevard-Zeitungen, Radio- und Fernsehsender.

Christian Gorissen blieb eine überregionale Brandmarkung erspart. Hätte sich der 40-Jährige beispielsweise auf einer mehrwöchigen Auslandsreise befunden, hätte ihm bei der Heimkehr unter Umständen eine böse Überraschung erwartet. Denn mit einiger Verzögerung werden Fahndungsfotos im Bundeskriminalblatt veröffentlicht, das alle Polizeidienststellen erhalten.

Auf Gorissens Facebook-Pinnwand allerdings häuften sich lustige und spöttische Kommentare. Der Drummer nahm die Angelegenheit nach der Aufklärung mit Humor und verwendet das Fahndungsfoto der automatischen Überwachungskamera seither als Profilbild. Eine peinliche Panne — nicht die erste dieser Art.

Vor einem Jahr gab die Mönchengladbacher Justiz ebenfalls ein Foto zur Veröffentlichung frei, dass den Sohn eines Verstorbenen zeigte, der ganz legal mit der EC-Karte des Vaters Geld abgehoben hatte. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten nicht geprüft, wer auf dem Foto zu sehen war.

Im vergangenen November fand eine Geschäftsfrau ein Portemonnaie an einem Geldautomaten der Sparkasse am Ostwall und gab es umgehend an einem Schalter ab. Trotzdem wurde die ehrliche Finderin Tage später als mutmaßliche Geldbörsen-Diebin abgebildet: Auch hier blieb der Polizei nur die Entschuldigung. Die Gebrandmarkte betreibt mit ihrem Mann eine Lotto-Toto-Annahmestelle in den Sparkassen-Arkaden — gleich um die Ecke.

Der Nutzen der Fahndungsfotos von mutmaßlichen Scheckkartenbetrügern ist gleich null. Dem Sprecher der Krefelder Polizei, Dietmar Greger, ist kein Fall bekannt, in dem auch nur ein „Skimming-Fall“ durch regional verbreitete Bilder aufgeklärt worden wäre.

Denn es handelt es nach Erkenntnissen des LKA um reisende Täter, die an, neben oder über Automaten Mini-Kameras und kaum erkennbare Lesegeräte installieren — meist nur für einige Stunden oder — wie im Fall oben — drei Tage lang.

„Wenn eine Tat lange zurückliegt, macht die Öffentlichkeitsfahndung eigentlich keinen Sinn“, räumt Gregor ein, der bei den beteiligten Kollegen ein „Unrechtsbewusstsein“ festgestellt hat.. Amtsrichter Wolfgang Thielen, auch für das Ausstellen von Haftbefehlen zuständig: „Das war im Ergebnis unschön. Ich werde das in Zukunft nicht mehr so oft handhaben.“

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