Jüdischer Friedhof Grabsteine erzählen Geschichte

Der Alte Jüdische Friedhof zeigt die rasante industrielle Entwicklung Krefelds im 19. Jahrhundert auf.

Jüdischer Friedhof: Grabsteine erzählen Geschichte
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Viele deutsche Islamisten predigen den Koran, ohne ihn je gelesen oder fundierte Auslegungen gehört zu haben. Die Gelegenheit, ihn intensiv zu studieren, hätten sie gehabt. Denn das Buch liegt seit weit über 100 Jahren auf Deutsch vor. Und das verdanken wir einem Krefelder: Der Ober-Rabbiner Lion Ullmann brachte 1840 eine wortgetreue Übersetzung aus dem Arabischen heraus.

Sein Grab liegt auf dem Alten Jüdischen Friedhof an der Heideckstraße, ein Friedhof, der viel über die Geschichte Krefelds erzählen kann. Ingrid Schupetta, Leiterin der NS-Gedenkstätte Villa Merländer, hat in diesen Tagen wieder eine Gruppe Interessierter über den Friedhof geführt und die Bedeutung der Grabstellen erklärt.

Ohne die Mennoniten, die Juden und die mit beiden Minderheiten verbundene Zuwanderung wäre Krefeld wahrscheinlich immer noch ein kleines Landstädtchen mit einem Markt und gackernden Enten. Damals erstreckte sich Krefeld gerade einmal zwischen Friedrichsplatz, Südwall, Breitestraße und Petersstraße. Die von der Leyens, von Beckraths und de Greiffs, allesamt Mennoniten, legten den Grundstein für die Industrialisierung dieses „Krähenfelds“.

Die sogenannten Seidenbarone waren es auch, die den ersten jüdischen Finanzier nach Krefeld holten und damit einen weiteren Grundstein legten: den für die Entwicklung der jüdischen Gemeinde, deren Entwicklung und zunehmende Assimilation an den Grabsteinen abzulesen ist.

Kein Geringerer als der preußische König Friedrich der Große war mehrfach bei den von der Leyens zu Gast, hörte sich deren Klagen an und „vermittelte“ den Frankfurter Juden Isaac Meyer Fuld. Ein vom König eigenhändig unterzeichneter Konzessionsbrief von 1764 regelt dessen Niederlassung in Krefeld. Auf diese Zeit bezieht sich auch der Spruch: „Es gibt Gute, Böse und Krefelder.“ Die Sonderstellung bestand darin, dass die Werber einen Bogen um die Stadt machten. Die Krefelder mussten nicht wie andere Untertanen mit Hurra in den Krieg ziehen, sondern durften in den Manufacturen mit ihrer Hände Arbeit das Geld produzierten, das der König für seine Feldzüge brauchte.

Doch zurück zu Meyer Fuld: Isaac und seine Frau Judith wurden hier heimisch und stifteten für die damalige Krefelder Synagoge eine Beschneidungsbank, die derzeit im Rahmen der Ausstellung „Toleranz“ im Museum Burg Linn gezeigt wird. Auch die bescheidenen Grabstätten von Isaac Meyer Fuld und seiner Frau Judith sind auf dem Alten Jüdischen Friedhof erhalten.

Als Krefeld zu Frankreich gehörte und im Département de la Roer (1798 bis 1814, zwischen Kleve und Bonn, Maas und Rhein) lag, galt hier der „Code civil“, der jedem Bürger Rechtsgleichheit garantierte. Alle Dekreten gegen Juden wurden aufgehoben. Krefeld wurde jüdisches Zentrum des Départements, Sitz des Konsistoriums und bekam daher einen Ober-Rabbiner.

Der Erste war 1809 Löb Carlburg, der aus Siebenbürgen stammte und in Prag und Berlin studiert hatte. Er genoss sehr großes Ansehen in der Bevölkerung und war bis 1835 im Amt. Seit kurzem ziert ein kleiner Zaun seine Grabstätte in Krefeld.

In der Nähe ruht der erwähnte Lion Ullmann, der von 1836 bis 1843 Ober-Rabbiner des Konsistoriums Krefeld war. Ullmann war akademisch ausgebildet. Seine Koran-Version galt im deutsch-sprachigen Raum bis 1970 als Standardwerk.

Auf Ullmann folgte 1845 bis 1868 der Ober-Rabbiner Löb Bodenheimer, in dessen Amtszeit der Bau der Großen Synagoge fiel (Vorbild für viele Synagogen im Rheinland). Neben seinem Grabstein steht auch der seiner Tochter Ida, die 1855 im Alter von 19 Jahren gestorben war. Der hebräische Lobetext auf der Vorderseite stammt Experten zufolge wegen der sprachlichen Komplexität und des persönlichen Tons von ihrem Vater: „Hier ist begraben die Jungfrau zu preisen, schön von Gestalt, die Freude ihrer Familie, Frau Ida, Tochter des Rabbiners, des Vorsitzers der Gerichtsbarkeit, unseres Lehrers und Meisters . . . Ihre Lippen von Anmut und Milde umkränzt, schneller als ein Weberschiffchen eilten ihre Tage, sie fuhren dahin mit den schnellen Schiffen . . .“

Die segnenden Priesterhände der Cohen, die Kanne als Zeichen der Leviten, die Lobetexte — an vielen Symbolen nagt der Zahn der Zeit. Glücklicherweise wurden die Inschriften vor 30 Jahren qualitativ hochwertig fotografiert. Dass die Grabteine überhaupt noch vorhanden sind, ist den Alliierten zu verdanken: Die Steine waren in der NS-Zeit zu einem Steinmetz nach Kempen abtransportiert worden. Die Alliierten sorgten dafür, dass sie an ihrem ursprünglichen Platz wieder aufgestellt werden mussten.

Detaillierte Informationen zu den Inschriften im Internet. www.steinheim-institut.de

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