Kirchenasyl: "Der letzte Ausweg vor der Abschiebung"

Cornelius Schmidt nahm vor 15 Jahren eine Flüchtlingsfamilie ins Kirchenasyl auf. Eine schwere Zeit.

Krefeld. 15 Jahre ist es her, dass Cornelius Schmidt, Pfarrer der altkatholischen Kirchengemeinde an der Dreikönigenstraße, mit seiner Frau eine Flüchtlingsfamilie aufnahm. Der Mutter mit ihren sieben bis 16 Jahre alten Kindern drohte die Abschiebung in die Türkei. Ihre Flucht ins Kirchenasyl löste eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. 60 Menschen unterstützten sie regelmäßig, darunter Lehrerinnen, Ärzte, Psychologen und die „Patenfamilien“. In einem Interview blickt der 62-Jährige zurück und schätzt die heutige Situation ein.

Herr Schmidt, sind Sie überrascht vom aktuellen Kirchenasyl-Fall?

Cornelius Schmidt: Nein, bin ich nicht. Ich bin gefragt worden, ob wir die Möglichkeiten hätten, diesen Flüchtling oder andere aufzunehmen. Aber die haben wir nicht, weil wir keinen Raum mehr haben. Unsere Kirche sah damals anders aus. Wir haben seit 2004 einen Friedhof, ein Kolumbarium, in der Kirche. In einem Friedhof Menschen unterzubringen ist keine gute Lösung. Inzwischen wohnen meine Frau und ich im Kirchturm, in dem wir damals die Familie teilweise unterbringen konnten. Unser Appartement ist nur 30 Quadratmeter groß, da können wir niemanden aufnehmen.

Sie haben einmal gesagt: Ich kann jedem raten, dreimal zu überlegen, ob er sich in Kirchenasyl begibt. Warum?

Schmidt: Es ist der letzte Ausweg vor der Abschiebung. Deshalb sollte man nur, wenn gar nichts anderes bleibt, diesen Weg beschreiten. Das Problem ist, dass sich der Staat auf den Standpunkt stellt, er befolge die Gesetze. Doch nicht alles, was legal ist, ist gerecht. Das alle Nase lang geänderte Asylverfahrensgesetz ist ursprünglich von 1982 und in jetziger Fassung von 1992 und 2008. Das Aufenthaltsgesetz ist in jetziger Form erst seit zehn Jahren in Kraft. Aber die Gesetze, nach denen die Kirche handelt, sind Tausende Jahre in Kraft. Das Bewusstsein ist verlorengegangen, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Man hört nur, es ist legal und dann wird es gemacht. Es bezweifelt niemand, dass es legal ist, aber es ist unmenschlich.

Was können Sie den Kollegen, die den Flüchtling ins Kirchenasyl nahmen, sagen, was auf sie zukommt? Was wünschen Sie ihnen?

Schmidt: Ich wünsche ihnen Durchhaltevermögen und dass ihr Glaube an Jesus Christus größer ist als an die Gerechtigkeit der Krefelder Ausländerbehörde. Ich weiß nicht, was auf sie zukommt. Der Leiter des Ordnungsamts scheint sich allerdings von seinem damals zuständigen Kollegen nicht zu unterscheiden. Die Worte sind die gleichen. Die Schwierigkeit beim Kirchenasyl ist grundsätzlich, dass die Kirchen kein exterritoriales Gelände sind. Wer sich früher an den Altar stürzte, war vor Verfolgung geschützt. Heute ist er dabei auf die Duldung des Staates angewiesen. Die kann enden, wenn sich ein Bürokrat entschließt, einen Sturm auf die Kirche zu starten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Exempel statuiert werden sollen. Im konkreten Fall hat sich die Ausländerrechtliche Beratungskommission für den Mann eingesetzt. Und ich glaube, jetzt möchte man denen mal zeigen, wer in der Stadt das Sagen hat. Das ist Imponiergehabe.

Sie haben in Ihrem Fall die absolute Härte seitens der Behörden erlebt. Was denken Sie heute darüber?

Schmidt: Damals kam verschärfend hinzu, dass es um eine Mutter mit fünf Kindern ging. Das waren auch Kinder am Anfang ihrer Schullaufbahn. Kinder, die hier geboren waren, sollten in eine „Heimat“ abgeschoben werden, deren Sprache sie nicht sprachen. Nicht mal an Weihnachten wollten die Behörden Frieden halten. Wir haben gebeten, die Kinder für zwei Stunden für eine Weihnachtsfeier aus der Kirche zu ihren Patenfamilien zu lassen. Aber ein Bürokrat hat Bestimmungen. Es hieß: Wenn die Kinder die Kirche verließen, würden sie festgenommen. Es hätte nur einen Funken Menschlichkeit gebraucht.

Sie haben noch Kontakt zur Familie, die sie aufnahmen. Wie geht es ihr heute?

Schmidt: Ihr geht es durchweg gut. Eine Tochter wohnt 200 Kilometer von Krefeld entfernt. Die habe ich nicht so vor Augen. Aber alle sind voll integriert. Ich würde sagen, dass sie zur Freude ihrer Mitbürger hier leben und sich auch selber freuen. Eine Tochter ist Friseurmeisterin, eine ist gerade zum dritten Mal Mutter geworden. Wir haben Kontakt. Aber alle waren danach nie wieder in dieser Kirche. Weil das traumatisch ist. Das ist wie Gefängnis. Und die Insassen eines Gefängnisses haben noch Freigang. Das war hier ja für die Familie nicht möglich. Insofern verbinden sie mit Kirche einen Rettungsanker, aber es war ein hoher Preis. Wir sind vermutlich auch die einzige Kirche, in der jemals ein Zahn gezogen worden ist. Die Zahnärztin musste zu uns kommen. Und als sich eines der Mädchen den Arm bracht, musste das auch in der Kirche behandelt werden.

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