Der Besuch der alten Dame: Eine Milliarde für einen Mord

Die Krefelder Premiere beschäftigte sich auf humorvolle Weise mit Moral und Gerechtigkeit.

Der Besuch der alten Dame: Eine Milliarde für einen Mord
Foto: Matthias Stutte

Krefeld. Die Dame wirkt überhaupt nicht alt. Mit blonden schulterlangen Haaren, hautengen schwarzen Jeans, hohen Schuhen und Sonnenbrille betritt Claire Zachanassian (Eva Spott) das chaotische und vermüllte Städtchen Güllen. Das ist das Anfangsbild von „Der Besuch der alten Dame“. Die Premiere war am Samstag im Theater Krefeld.

Im Gegensatz zur topgestylten Zachanassian ist der Anblick des Städtchens trostlos. Die Bewohner sitzen im Müll und trinken Bier. Kloschüsseln, eine halb zerfledderte Matratze und Müllsäcke, unter denen einer nach dem anderen hervorkriecht, türmen sich auf der Bühne. In Güllen hält seit langem kaum noch ein Zug, bis Zachanassian die Notbremse zieht und ihrer Heimatstadt zusammen Ehegatte Nummer sieben einen Besuch abstattet. Im Gepäck hat sie einen schwarzen Panther und einen Sarg.

Eva Spott als Claire Zachanassian

Eva Spott schafft es auf herausragende Weise, den eiskalten Racheengel zu verkörpern. Sie verzieht keine Miene als sie den Einwohnern mitteilt, sie gebe eine Milliarde Euro für den Tod von Alfred Ill (Bruno Winzen). Die Bekundungen, dass das niemals geschehen werde, kommentiert sie mit: „Ich warte.“ Berechnend wirkt sie und doch schafft sie es leicht, beim Publikum Mitgefühl zu wecken. Gerade weil Zachanassians Maske immer wieder herunterfällt, wenn sie auf Jugendliebe Ill trifft.

Er hat sie verraten, indem er die Vaterschaft an dem gemeinsamen Kind geleugnet und zwei Männer mit Schnaps bestochen hat, damit sie vor Gericht aussagen, ebenfalls mit ihr geschlafen zu haben. Daraufhin setzte sich die gedemütigte 17-Jährige in einen Zug, verließ die Stadt und musste sich prostituieren. Erst die Heirat mit einem Millionär befreite sie aus ihrer Lage. Als Ill mit den Konsequenzen seiner Aussage konfrontiert wird, spielt er es herunter: „Das war ein ziemlich übler Jugendstreich.“ Von Reue keine Spur.

In solchen Momenten spürt der Zuschauer die tiefe innere Verletzung, die Zachanassian zu dem gemacht hat, was sie ist. Eine Millionärin, die der Meinung ist, mit Geld könne man alles kaufen: „Ich nehme eine Milliarde und kaufe mir Gerechtigkeit.“ Sitzt sie gerade noch fast angelehnt an Ill im Wald, schmeißt sie diese Kulisse, bestehend aus drei Ästen in einem Blümenkübel, von der Bühne.

Das Bühnenbild von Peter Scior könnte treffender kaum sein. Aus Vorfreude auf die Milliarden räumen die Güllener die ganze erste Hälfte des Stücks auf, indem sie den Müll von der Bühne werfen. In der zweiten Hälfte schwelgen sie bereits im Luxus, alles ist sauber und hochmodern. Dafür haben sie sich verschuldet. Immer in der Hoffnung, irgendwer werde Ill schon umbringen. Tun will es aber keiner. Das führt dazu, dass Ill sich verfolgt und bedroht fühlt, bis er schließlich seine Schuld anerkennt und sich dem Urteil der Gemeindeversammlung fügt. Auch Winzen überzeugt im Wandel vom verfolgten Mann zum Märtyrer.

Christoph Roos hat mit seiner Inszenierung eine spannende, aber auch humorvolle Beschäftigung mit einer moralischen Frage geschaffen: Wie viele Strafe steht einem Opfer als Genugtuung zu? Mit Blick fürs Detail beim Bühnenbild sowie sehr ausgefeilten und witzigen Nebenfiguren, wie Jonathan Hutter als Ehemann sieben bis neun lockert Roos das ernste Thema auf — bis zum Schock am Ende.

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