Die Orgel, die mit Luftdruck spielt

Das historische Instrument in der Lutherkirche arbeitet pneumatisch — und ist auch sonst speziell.

Die Orgel, die mit Luftdruck spielt
Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Die Töne schwellen um die Kanzel herum an und bündeln sich im Kirchenraum bei der Gemeinde: Die pneumatische Walcker-Orgel ist voll auf die Akustik in der Lutherkirche abgestimmt. „Diese Orgel ist einmalig am Niederrhein — keine andere hat diese authentische Ausdruckskraft der romantischen Streicher“, sagt Karlheinz Schüffler.

Die Orgel, die mit Luftdruck spielt
Foto: Bischof, Andreas (abi)

Er muss es wissen, denn der Organist und Mathematikprofessor spielt regelmäßig in der Lutherkirche. Und: Er hat das — zusammen mit seinen Mitstreitern — überhaupt erst möglich gemacht. 2002 riefen sie einen Förderverein ins Leben, der mit großem Engagement die kaputte Orgel wieder spielbar machte.

Sie war 1904 von der renommierten Orgel-Dynastie Walcker aus Baden-Württemberg eingebaut und mit dem Kirchenneubau geweiht worden. Seit den 80er Jahren war sie nicht mehr spielbar. Etwa 30 Jahre hat es gedauert, bis sie wieder tönte: Im Juli 2010 wurde das „Opus 1112“ der Firma Walcker wieder eingeweiht — verwandt etwa mit der Orgel in Frankfurts Paulskirche.

Das Instrument in der Lutherkirche weist mehrere Besonderheiten auf, die sie von den anderen Krefelder Orgeln unterscheidet. Das beginnt mit ihrer Position im Kirchenraum. Die Lutherkirche ist von außen eckig, weist in ihrem Inneren aber einen fast elliptischen Raum auf. „In dieser Ellipse ergeben sich zwei Brennpunkte für die Schallwellen“, sagt Schüffler. „So hören sich die Töne unten bei den Kirchenbänken noch besser an.“

Der Spieltisch der Orgel befindet sich hinter der Kanzel. Einen direkten Blickkontakt zwischen Pastor und Organist gibt es also nicht. „Erfahrene Musiker wissen genau, an welcher Stelle der Liturgie man sich gerade befindet“ sagt Schüffler. „Der evangelische Gottesdienst läuft ja immer gleich ab.“ Seit einiger Zeit hängt an der Rückwand der Kanzel jedoch ein kleiner Monitor.

Die Walcker-Orgel verfügt über 30 Register: „Damit ist sie eher klein, aber klanglich groß“, sagt Schüffler. „Viele Komponisten haben speziell für diesen Typ Orgel geschrieben — französische Romantiker wie César Frankh oder Charles-Marie Widor.“

Die Walcker-Orgel hebt sich auch durch ihre Technik von den anderen Krefelder Instrumenten ab: Sie funktioniert pneumatisch. Jede der Tasten ist mit einem Bleirohr, dem sogenannten Kondukt, verbunden. Wird die Taste gespielt, hebt der Luftdruck das entsprechende Ventil an der Orgelpfeife an. Die Luft erzeugt die gewünschten Töne.

Aus dieser Technik ergibt sich eine andere Reaktionszeit: Wenn der Organist auf die Taste drückt, kommt der Ton erst eine kleine Weile später. Der Musiker hört die gespielten Töne mit Verzögerung. Er ist also mit den Händen und Füßen schon weiter als mit dem Gehör. „Ich brauche immer eine gewisse Zeit, um mich umzustellen“, sagt Schüffler, der auch an anderen Krefelder Orgeln musiziert.

Für ihn ist das Pedal die Königsdisziplin: „Zwei Manuale und die Pedale haben jede ihre eigene Tonfolge. Drei Melodien laufen gegeneinander — die Musik auf der Orgel ist dreidimensional.“ Der Orgelprospekt in der Lutherkirche ist aus dunklem Holz geschnitzt: Rosen ranken in einem gotischen Bogen um den Spieltisch herum. Wer sich in der Kirche umschaut, entdeckt die Formen und Motive immer wieder — alle Details sind aufeinander abgestimmt.

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