Don Giovanni am Stadttheater: Das Raubtier im Dschungel der Großstadt

Kobie van Rensburg zeigt den Verführer als eiskalten Jäger mit schwarzem Herzen. Ein großer Opernabend.

Don Giovanni am Stadttheater: Das Raubtier im Dschungel der Großstadt
Foto: M. Stutte

Krefeld. Die kalten Lichter der Metropole passen perfekt zu Don Giovannis Blick. Dies ist kein heißblütiger Verführer, schon gar kein Frauenheld. Der Mann ist ein Raubtier, ein grausamer Jäger, stets auf der Suche nach Beute. Sein federnder Gang, das selbstsichere Lächeln und die schmeichelnden Worte sind nur Tarnung. Wenn er zum Sprung ansetzt, sieht die Welt sein wahres Gesicht. Regisseur Kobie van Rensburg hat Mozarts italienische Oper „Don Giovanni“ nach New York verlegt. Am Samstag war die Premiere im Stadttheater, es gab minutenlang tosenden Applaus, Bravorufe und schließlich stehende Ovationen. Sie galten den Sängern, den makellos aufspielenden Sinfonikern unter Alexander Steinitz, vor allem aber einer Regie-Idee, die viel wagt und am Ende alles gewinnt. Der Südafrikaner van Rensburg lässt die Oper in jenem Großstadtdschungel spielen, den Humphrey Bogart einst stoisch rauchend erkundet hat. Es ist die Welt des Film Noir mit ihren tiefen, unergründlichen Schatten, den regnerischen Nächten und tristen Straßenzügen. Mit Hilfe ausgefeilter Video-Projektionen überträgt van Rensburg sie auf die Bühne. Einige Meisterwerke, wie „Vertigo“ oder „Casablanca“, zitiert der Regisseur direkt, doch in erster Linie geht es ihm um Atmosphäre, erschaffen durch Licht, Linienführung, den weitgehenden Verzicht auf Farbe und einige wenige archetypische Elemente aus Gangster- und Detektivfilmen (Bühne und Kostüme: Dorothee Schumacher, Lutz Kemper).

So gesehen wirkt die Geschichte des skrupellosen Trophäenjägers Don Giovanni, dessen pathologisches Lügen und Betrügen ihn schließlich in den Abgrund reißen, wie ein klassischer Noir-Stoff: der unmoralische Held, seine nihilistische Weltsicht, das unvermeidliche Schicksal, dem er sich stellt. Der Jäger wird zum Gejagten, der Lynchmob ist ihm auf den Fersen und meuchelt ihn am Ende. Der niederländische Bassbariton Martin-Jan Nijhof meistert den Part mit ungeheurer Präsenz, stimmlich wie darstellerisch. Er ist weder Gockel noch Wüstling, sondern erinnert eher an den Serienkiller Patrick Bateman aus dem Neo-Noir-Thriller „American Psycho“: ein Ego so groß wie das Empire State Building, doch ein Herz so schwarz wie die Nacht. Der Mord an Donna Annas Vater wirkt vor diesem Hintergrund nicht wie ein Unfall. Dieser Don Giovanni ist es gewohnt zu vernichten, und er empfindet dabei kein Mitleid.

Trotz des überragenden Hauptdarstellers gewinnen auch andere Figuren erstaunliche Kontur: der verzweifelte Racheengel Donna Elvira (Debra Hays), der loyale Diener Leporello (Andrew Nolen), sogar der Unglücksvogel Masetto, den Matthias Wippich als weiches Gegenbild zu Don Giovanni zeichnet. Sophie Witte lädt als Zerlina beinahe jede Szene mit lasziver Erotik auf, nach „Manon“ ihr nächster Glanzauftritt.

Darstellerisch sind fast alle auf hohem Niveau, stimmlich strahlt die junge Spanierin Elena Sancho Pereg als Donna Anna noch ein wenig heller als der Rest. Ihr kristallklarer, ausdrucksstarker Sopran wird ab dem Sommer an der Deutschen Oper am Rhein häufiger zu hören sein. Dass sich der Niedergang des Don Giovanni in dieser Inszenierung so mühelos verfolgen lässt wie selten, liegt an einem weiteren Regie-Kniff. Statt konventionelle Übertitel zu verwenden, projiziert van Rensburg die Texte in einer modernen, aber keineswegs plumpen Übersetzung direkt über die Sänger.

Kobie van Rensburg gelingt ein Abend aus einem Guss, von der Ouvertüre, die er als ironischen Filmvorspann gestaltet, bis zum dramatischen Finale, das fast hinter Nebelschwaden verschwindet. Selbst Mozart klingt in diesen knapp drei Stunden irgendwie anders als sonst — wie eine oscarreife Filmmusik.

Weitere Termine: 14., 16., 27. Mai, 6., 15., 22., 28. Juni, 5. Juli. Karten gibt es unter Telefon 02151/805-125.

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