Theater Ein entstaubter und frecher Barbier

Der „Barbier von Sevilla“ feiert im Krefelder Theater einen großen Erfolg — als in die quietschbunten 60er-Jahre verlegte Oper.

Theater: Ein entstaubter und frecher Barbier
Foto: Matthias Stutte

Krefeld. Einer der berühmtesten Flops der Operngeschichte war die Uraufführung von Gioacchino Rossinis „Barbier von Sevilla“. Das genaue Gegenteil, nämlich ein großer Erfolg, war jetzt die Premiere im Krefelder Theater. Auch 200 Jahre nach seiner Entstehung begeistert die Oper das Publikum. Das liegt vor allem am Konzept des Regisseurs Kobie van Rensburg, der das etwas altmodische Stück gründlich entstaubt und für moderne Sehgewohnheiten transformiert hat.

Moderne Technik in Form von Projektionen hat er in Krefeld bereits in seinen Inszenierungen der Mozart-Opern „Figaros Hochzeit“ und „Don Giovanni“ erfolgreich eingesetzt. Jetzt ist er einen Schritt weiter gegangen und verzichtet vollständig auf ein festes Bühnenbild. Die Sänger agieren weitgehend vor einer blauen Wand und blicken dabei in zwei mitten auf der Bühne installierte Kameras. Auf der Leinwand darüber werden die Akteure in virtuelle Hintergründe hineinprojiziert. Zusätzlich sind dort die Dialoge lesbar, so dass der Zuschauer direkt ins Geschehen hineingezogen wird.

Dazu gibt es viele visuelle Spielereien wie zerfallende Buchstaben oder schwebende Gegenstände. So umtanzen Figaro (Rafael Bruck) bei seiner berühmten Auftrittsarie gleich mehrere Scheren, an anderer Stelle schlagen kleine Hämmer auf die Köpfe der Sänger ein. Die Mechanik der quirligen, aus endlosen Wiederholungen bestehenden Musik, wird auf diese Weise karikiert.

Auch ansonsten gibt sich die Regie von der Ouvertüre an einer ungebremsten Flut von Einfällen hin. Da mixt Meister Rossini persönlich (Alexander Betov) in seiner Küche die Zutaten zu seiner Oper zusammen, deren Handlung hier in die quietschbunten 60er-Jahre verlegt ist.

Entsprechend gestylt ist Figaros Salon „Studio 15“ oder das orange-grüne Badezimmer, in dem Rosina (Sophie Witte) in der Wanne trällert. Wenn der verliebte Graf Almaviva (Levy Sekgapane) ihr ein Ständchen bringt, bekommt er Unterstützung von den Beatles, die als ganzer Herrenchor in Sevilla einen Zwischenstopp einlegen.

Entscheidende Hilfe, den trotteligen Vormund Rosinas Dr. Bartolo (Hayk Deinyan) auszutricksen, erhält der Graf von Figaro. Wie sie gemeinsam zur berühmten Gewittermusik virtuell Rosinas Balkon erklimmen, gehört zu den witzigsten Bildern des Abends. Amüsant bebildert ist auch die Arie des Basilio (Andrew Nolen), in der er erklärt, wie die Verleumdung sich von einem Lüftchen zu einem Sturm (in diesem Fall salopp als „Shitstorm“ übersetzt) entwickelt.

Diese teilweise sehr frech und umgangssprachlich übersetzten Texte sorgen für viele Lacher. Dem überdrehten Charakter der Musik und den komödiantischen Figuren kommt dieses Konzept zugute, aber es lenkt auch von manchem ab. So muss sich das Publikum immer wieder entscheiden, wohin es blickt. Entscheidet man sich für die Großaufnahme, kann man auch in der letzten Reihe Nuancen der wunderbaren Mimik wahrnehmen.

Dabei bleibt leider nicht verborgen, dass die Mundbewegungen nicht immer ganz synchron mit dem tatsächlichen Gesang sind. Das ist etwas störend, zumal musikalisch Rossini vom Feinsten geboten wird. Das liegt am gesanglich und darstellerisch glänzenden Ensemble, allen voran Rafael Bruck, Sophie Witte und Gasttenor Levy Sekgapane.

Auch die Niederrheinischen Sinfoniker unter Kapellmeister Andreas Fellner bringen die Musik virtuos zum Leuchten, könnten aber an einigen Stellen an der Lautstärke feilen.

Mit diesen Beteiligten hätte man auch mit weniger technischem Aufwand einen spritzigen Abend hinbekommen. Der Zauber des Theaters als unmittelbares Erlebnis droht sich in dieser Bilderflut zu verlieren.

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