Joachim Henschke: „Ich will mit Feuer bei der Sache sein“

Schauspieler Joachim Henschke über seine Rolle als King Lear, seine Kindheit und den Zauber des Theaters.

Krefeld. Herr Henschke, am Samstag hat Shakespeares „König Lear“ Premiere in Krefeld. Sie spielen die Titelrolle des alternden Herrschers, der langsam in den Wahnsinn gleitet. Ist das die Rolle, von der jeder Schauspieler träumt?

Joachim Henschke: Ach, das sind so Klischees, so Schauspieler-Weisheiten. Ich habe viele dieser Rollen gespielt: Hamlet, Macbeth, Othello. Letztlich ist es eine Frage des Umfelds, in dem man arbeiten darf. Ist das Umfeld gut, dann fühlt man sich gut. Ist es schlecht, verwünscht man so eine Rolle.

Und wie ist das Umfeld jetzt?

Henschke: Sehr gut. Es sind schöne Proben. Ich empfinde keinen Moment davon als Last.

Wie haben Sie reagiert, als Sie von Schauspieldirektor und Regisseur Matthias Gehrt erfahren haben, dass Sie den Lear spielen sollen?

Henschke: Ich habe wörtlich gesagt: Da haben wir aber ein dickes Brett zu bohren.

Was macht die Rolle so besonders?

Henschke: Das ist wie die Besteigung des Mount Everest. Die Rolle verlangt eine emotionale Anstrengung, die unvergleichlich ist.

Woran liegt das?

Henschke: An der Fallhöhe. Lear ist ein absoluter Herrscher und liebender Vater, der alles verliert. Da kann man sich nicht in Attitüden retten oder etwas vorspielen. Spielen ist eh Scheiße. So etwas kann ich nicht mit Maske machen, sondern nur aus mir selbst heraus, mit dem, was mir an Herz und Seele zur Verfügung stehen.

Sie sind selbst Vater eines Sohnes. Hilft das bei der Rolle?

Henschke: Es hilft dabei, die Bindung zu Kindern nachzuempfinden. Wenn Lear sich von Cordelia lossagt und sie verstößt, fühlt sich das grauenhaft an. Oder wenn sie am Ende stirbt — wer selbst Vater ist, weiß, was für eine ungeheure Katastrophe das wäre.

Das klingt emotional aufreibend.

Henschke: Das muss es auch sein. Ob man 20 oder 90 Jahre alt ist, man muss mit Feuer bei der Sache sein. Wenn man sich nicht mehr freut und nicht mehr ärgert — auch über sich selbst —, soll man es sein lassen. Dann kann man genauso gut Autos verkaufen.

Wann ärgern Sie sich über sich selbst?

Henschke: Ich weiß genau, wo mein Schweinehund sitzt. Ich bin viel zu ungeduldig. Und ich kann schlecht Kritik vertragen.

Wie äußert sich das, wenn Sie gelegentlich unter einem Regisseur spielen, der halb so alt ist wie Sie?

Henschke: Das ist spannend. Aber mit dem Alter hat das nichts zu tun. Ich kann es nur nicht leiden, wenn Kollegen vorher schon genau wissen, wo es langgeht. In einer Probe sollte ich mal eine Tür aufmachen und die Person dahinter zusammenscheißen. Der Regisseur wollte unbedingt, dass ich mir vor dem Öffnen der Tür mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wische. „Das war immer ein großer Lacher“, hat er gesagt. „Da muss ich drauf bestehen.“

Und haben Sie’s gemacht?

Henschke: Nein. Da hatte ich keinen Bock drauf.

Wann wussten Sie, dass Sie Schauspieler werden wollen?

Henschke: Ich war mit sechs Jahren zum ersten Mal im Theater — es gab „Peterchens Mondfahrt“. Ich kann mich genau an den Geruch erinnern. Für mich war das ein unglaublicher Zauber. Kurz danach gastierte im Wirtshaus bei uns im Dorf eine Puppenbühne mit „Faust“. Da wusste ich endgültig: Das ist mein Ding.

Die Eltern wollten doch bestimmt, dass Sie was Vernünftiges lernen.

Henschke: Nach der Mittleren Reife habe ich eine Lehre als Industriekaufmann angefangen. Nach vier Monaten habe ich abgebrochen und wollte ernst machen mit der Schauspielerei. Die Flausen waren nicht verflogen, sie hatten sich verdichtet. Mein Vater war Exportkaufmann, er sagte: Das ist doch nix. Meine Eltern waren ernsthaft besorgt.

Aber Sie haben sich durchgesetzt.

Henschke: Mein Vater hat im Theater in Bremen angerufen und sich den Intendanten geben lassen. Er wollte jemand Kompetentes haben, der beurteilen sollte, ob die Sache Sinn hat. Der Intendant vermittelte uns eine ältere Schauspielerin, die damals mit dem Bremer Senator für Kunst und Wissenschaft verheiratet war. Ihr spielte ich vor, damals als 16-, 17-Jähriger. Den Karl Mohr aus den „Räubern“ und den Beckmann aus „Draußen vor der Tür“. Mein Vater musste draußen warten. Als ich fertig war, hat sie ihm gesagt: Wenn Sie den Jungen nicht schauspielern lassen, geschieht ein Unglück.

Wie kann man sich den jungen Joachim Henschke vorstellen?

Henschke: Ich war ein schöner Junge, Typ jugendlicher Held. Mein Liebling war damals Elvis. Ich hatte Koteletten und eine Tolle. Mit 24 wurde ich als Old Shatterhand in Bad Segeberg engagiert. Da waren meine Eltern stolz.

Zu der Zeit hatten Sie schon am Bremer Theater ihre ersten Sporen verdient. Wie war die Arbeit dort mit Peter Zadek, Peter Stein oder Hans Neuenfels?

Henschke: Ich konnte das intellektuell noch nicht so richtig einschätzen. Die Spiellust und -laune stand im Vordergrund. Bei meiner Theaterintelligenz gab es noch große Baustellen.

Sie haben in Bremen auch mit Bruno Ganz gespielt. Wie war er?

Henschke: Er war zunächst einer unter vielen. Seine große Chance ergab sich durch einen tragischen Vorfall. Der Darsteller des Hamlet wurde wenige Tage vor der Premiere vom Regisseur gefeuert. Er hat sich in der Nacht einschließen lassen und sich im Bühnenbild des Stücks erhängt. Bruno kannte die Rolle — und mit ihm wurde das Stück ein Riesenerfolg.

Über viele Stationen sind Sie 1997 nach Krefeld gekommen und in einer Branche voller Wandervögel bis heute geblieben. Warum?

Henschke: Ich wollte bei meinem Sohn sein. Leon ist 1996 geboren, ich stand vor der Frage: Ignorierst du deine Verantwortung oder bekennst du dich dazu? Ich wollte mich dazu bekennen.

Haben Sie das mal bereut?

Henschke: Keinen einzigen Tag. Es gab in dieser Zeit zwei attraktive Angebote, die ich ausgeschlagen habe. Aber ich habe den Jungen aufwachsen sehen. Das klingt kitschig, aber es ist die Wahrheit.

Als einziger Schauspieler überblicken Sie fast die ganze Ära Pesel und die komplette bisherige Ära Grosse. Wo liegen die Unterschiede zwischen den Intendanten?

Henschke: Bei aller Wertschätzung für Jens Pesel hat mir Michael Grosse sofort imponiert. Als Sven Seeburg für „Amadeus“ ausfiel, hat er als Intendant die Rolle übernommen. Das habe ich noch nie erlebt. Da scheute sich jemand nicht, ganz nah beim Ensemble zu sein. Auch was er beim Übergang zur GmbH geleistet hat, verdient großen Respekt.

Für nächstes Jahr wurde Ihr Vertrag erneut verlängert. Wie lange möchten Sie noch weitermachen?

Henschke: So lange ich an Kopf und Körper gesund bin. In den nächsten acht Wochen habe ich 34 Vorstellungen, darunter die Premiere von „King Lear“. So lange ich noch rocken und rollen kann, mache ich weiter.

Gibt es einen Plan für danach?

Henschke: Da mache ich mir null Gedanken. Ich habe vor acht Wochen mit Mario Adorf ein Hörspiel aufgenommen. Er ist 82 Jahre alt, sieht toll aus, ein sehr attraktiver Mann, voll im Saft. So ein Beruf, wie wir ihn haben, ist einfach ein Geschenk.

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