Klangkörper aus Krefeld: Mit dem Ohr nah am Klang

In seiner Werkstatt in Hüls restauriert und stimmt Holger Ketelhohn Klaviere, Flügel und Cembali. Er arbeitet nach Gehör.

Krefeld. Richtig gemütlich ist es in der Werkstatt von Holger Ketelhohn nicht. Dafür ist es zu kalt. Auf gerade einmal 16 Grad heizt der Klavierbaumeister seinen Raum. „Die meisten Leute denken nicht daran, dass der Hauptbestandteil eines Klaviers Holz ist. Und Holz arbeitet“, sagt der 52-Jährige. Der Experte weiß: Ist die Luft zu trocken, kann das Holz des Resonanzbodens, auf den sich die Schwingungen der Saiten übertragen und den Ton erzeugen, Risse bekommen. Das sei vor allem im Winter wegen der trockenen Heizungsluft ein Problem.

Hat der Resonanzboden Risse, ist Ketelhohn gefragt. Der Klavierbaumeister ist für Arbeiten an Akustik und Mechanik zuständig. Er zieht auch neue Saiten auf, erneuert die Hammerköpfe, die die Saiten anschlagen, und kämpft gegen Mottenfraß oder Schimmel, die Instrumente befallen können. Auch Flügel und Cembali restauriert der Hülser in seiner Werkstatt.

„Man glaubt gar nicht, wie lange man an einem Instrument sitzen kann und wie viele Regulationsvorgänge es gibt, bis Mechanik und Klaviatur wieder einwandfrei spielen“, sagt Ketelhohn. Für eine Generalüberholung müsse er an die 100 Stunden arbeiten. Das hat seinen Preis: „So eine Reparatur kann locker 6 000 bis 7 000 Euro kosten.“

Am häufigsten stimmt Ketelhohn allerdings Instrumente. „Ein Klavier oder Flügel sollte einmal im Jahr gestimmt werden“, sagt er. Auch das hänge mit der relativen Luftfeuchtigkeit in den Räumen und der Arbeit des Holzes zusammen. Um die 90 Minuten braucht der Experte, bis die Töne wieder richtig klingen. „Für den ersten Ton, den Kammerton a¹, habe ich ein elektronisches Hilfsmittel, der Rest geht nach Gehör“, erzählt er. Ein Laie kann sich kaum auf sein Gehör verlassen, denn es erkennt nicht immer, dass ein Klavier verstimmt ist: „Das Gehör gewöhnt sich an ein verstimmtes Instrument“, sagt Ketelhohn.

Ketelhohn weiß, wovon er redet. Seit fast 25 Jahren ist er selbstständiger Klavierbaumeister. Angefangen hat alles mit einfachem Unterricht. Die Entscheidung, dass es Klavier sein soll, hat sein Großvater gefällt: „Mein Opa hat gesagt: Lern du mal Klavier. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar“, sagt Ketelhohn.

Denn die sechs Jahre Üben haben ihn beeinflusst, wie ihm bei der Berufsberatung in der Schule klar wurde. „Wir haben ein dickes Buch bekommen. Ich habe bei A angefangen und bin bei Klavierbauer stehen geblieben“, erzählt Ketelhohn. Schon in der Probezeit sei ihm klar gewesen: „Das ziehe ich bis zum bitteren Ende durch.“ Nur dass sein Großvater seine Berufswahl nicht mehr erlebt hat, bekümmert den Klavierbauer bis heute.

Dreieinhalb Jahre dauerte die Lehre in Krefeld und an der Berufsschule in Ludwigsburg, nach wie vor die einzige Berufs- und Meisterschule in Deutschland, an der man Klavierbaumeister werden kann. Nach der Ausbildung wusste Ketelhohn zwar viel, eines aber hatte er verloren: die Lust, selber Klavier zu spielen. Die ist bis heute nicht zurückgekehrt. „Ich sitze so schon acht, neun, zehn Stunden täglich an einem Klavier. Dann noch zu Hause Literatur üben? So weit geht die Liebe nicht“, bekennt Ketelhohn. Vor einem Jahr hat er sogar sein Meisterstück verkauft. Statt alleine auf dem Klavierhocker zu sitzen, singt der 52-Jährige lieber in zwei Chören.

Die Arbeit an den Instrumenten ist Ketelhohn hingegen noch lange nicht leid geworden. „Es macht immer noch tierisch viel Spaß“, sagt der Klavierbauer strahlend. Und das, obwohl er dafür in einer kalten Werkstatt stehen muss.

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