Krefelds schönste Orgeln: Die schwebende Stimme des Himmels

In Krefelds größter Kirche stand jahrzehntelang eine „Recycling-Orgel“. Heute hat sie das Volumen, um Kathedralen zu füllen.

Krefelds schönste Orgeln: Die schwebende Stimme des Himmels
Foto: Bischof, Andreas (abi)

Krefeld. 1946: Die Innenstadt ist seit den schweren Bombenangriffen in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1943 ein riesiges Trümmerfeld. Den Menschen fehlt es auch ein gutes Jahr nach Kriegsende an allen lebenswichtigen Dingen. Krefelds größte Kirche, St. Johann Baptist, hatte den Zweiten Weltkrieg relativ gut überstanden — nur das große Westfenster und die davor stehende Orgel sind zerstört.

Krefelds schönste Orgeln: Die schwebende Stimme des Himmels
Foto: Andreas Bischof

Es war kein großes Instrument, das damals vernichtet wurde, sondern nur ein Provisorium aus den Anfängen der neugotischen Kirche, erbaut 1892 bis 1894. Doch aus dem Bau einer neuen Orgel für den „Krefelder Dom“ sollte trotz diverser Anläufe nichts werden.

Erst im Herbst 1946, in den Notzeiten der ersten Nachkriegsjahre, ist es der Pfarrgemeinde wichtig, wieder eine Orgel in ihrer Kirche zu haben. Im September 1946 führt der Kirchenvorstand die ersten Gespräche mit der Kevelaerer Orgelbaufirma Seifert, und bereits am 4. Oktober 1946 gibt man den Auftrag zum Bau einer Orgel mit 30 Registern für 38 800 Mark.

Bereits im Sommer des folgenden Jahres konnte die Gemeinde die erste Messe mit Orgelmusik feiern. So schnell lässt sich — erst recht nicht in Zeiten des Mangels — ein solches Instrument bauen, aber die Krefelder hatten Glück. Seifert besaß eine fertige Orgel wenn auch aus Teilen alter Instrumente, die für eine Kirche im Saarland gebaut worden war und wegen der französischen Besatzung nicht dorthin ausgeliefert werden konnte. „An den Registern von 1947 lässt sich erkennen, dass die Orgel für einen kleinen Raum gebaut worden war. Der Klang dieser Pfeifen füllt keinen Kathedralraum“, sagt Organist Simon Botschen.

Doch mit der improvisierten „Recycling-Orgel“ der Nachkriegszeit muss er heute nicht mehr auskommen. 1993 nahm der neue Kantor an der Johanneskirche, Rüdiger Streim, eine Renovierung und Verbesserung der Seifert-Orgel in Angriff. Der Organist hatte neben seinem Kirchenmusikstudium lange Zeit im Orgelbau gearbeitet und kannte sich demzufolge auch in den technischen Fragen gut aus. Und er hatte ein Herz für dieses Instrument, das von der Gemeinde unter großen Entbehrungen und mit viel Herzblut angeschafft worden war.

Der Orgelbausachverständige des Bistums wollte im Unterschied zu ihm die Seifert-Orgel abreißen. Doch Streim setzte sich durch. Mit einigen ehrenamtlichen Helfern aus der Gemeinde renovierte und erweiterte er das historische Instrument. Von einer Seifert-Orgel aus Berlin erbte man den Spieltisch mit vier Manualen und 74 Registern. Das wurde zum Anlass genommen, nun auch der Krefelder Orgel das Volumen und die Möglichkeiten einer Kathedralorgel zu geben.

2118 Pfeifen können nun Klangerlebnisse schaffen, die ein halbes Orchester ersetzen, denn die Orgel wurde nicht nur erweitert, sondern auch romantisiert. Sphärische Klänge gehören dazu, wie sie das Register Aeoline zaubern kann oder auch die „Vox coelestis“, die „Stimme des Himmels“, die bewusst verstimmt ist, um einen mystisch-schwebenden Klang zu erzeugen. „So etwas ist typisch für die Romantik, da wollte man so einen Schmalz!“, sagt Botschen.

„Als ich 2009 das erste Mal die Orgel und ihre Technik gesehen habe, bin ich fast wieder rückwärts von der Orgelempore gegangen. Aber dann habe ich mir gesagt, das guckst du dir mal genauer an!“ Inzwischen gehört er zu den Organisten, die den Recycling-Bau lieben. „Wenn man den Klang erlebt hat, lässt er einen nicht so schnell wieder los!“

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