Kulturfabrik: Maschinenwesen aus Fleisch und Blut

Hinter dem Achtziger-Sound von MarieMarie wird eine herausragende Songwriterin mit glasklarer Stimme hörbar.

Kulturfabrik: Maschinenwesen aus Fleisch und Blut
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Schon die ersten Töne sind eine Zeitreise. Sollten die Achtziger je mit Gewalt zurückkommen, was der Musikgott bitte verhüten möge, wäre MarieMarie der geborene Star. Mit rotem Lockenturm auf dem Kopf verfügt sie über die hinreichende optische Extravaganz, und „Under the Neon Sky“, der erste Song ihres Konzerts am Sonntag in der Kufa, wirkt, als hätten die Eurythmics und Anne Clark nach all den Jahren mal wieder einen Prosecco zusammen getrunken.

Diese Musik klingt nach Distanz, nach Maschinenwesen, da kann das Schlagzeug sie noch so entschlossen nach vorn treiben. Auch MarieMaries Stimme verbirgt sich anfangs hinter elektronischer Verzerrung — doch zum Refrain bricht sie hervor, kraftvoll und glasklar. Es ist ein fast symbolischer Moment, weil da schon deutlich wird, dass MarieMaries Musik aus Fleisch und Blut besteht. Über dem Beat, dem Wabern und Wummern, das sich oft von unten in die Stücke drängt, strahlt stets der Song — und diese zauberhafte Stimme.

Der erste Applaus scheint MarieMarie fast zu verschrecken, als sei so viel Aufmerksamkeit ihr unangenehm. Diese Scheu wird sie erst gegen Ende des Konzerts ablegen, wie auch das Publikum, das lang bewegungslos verharrt und erst am Schluss zu „Cotton Candy Hurricane“ abtanzt, dem Song, der es beim ESC-Vorentscheid bis ins Halbfinale schaffte.

Zuvor enden alle Versuche der Ekstase in zaghaftem Wippen, was auch an dem Instrument liegen mag, das die Bühne beherrscht. Unbeweglich steht da MarieMaries Harfe, größer als sie selbst. Harfe spielen und tanzen, das ist wie Wasserski fahren und dabei Scrabble spielen.

Und doch sorgt diese Harfe für die großen Momente des Abends. Die Ballade „Unpara-dised“ beweist, dass MarieMarie, die als „Punk-Elfe“ vermarktet wird, vor allem eine herausragende Songwriterin ist. „Open Your Eyes“ zeigt, dass sie neben chartstauglichen Melodien auch komplexen Pop beherrscht. Und in ihrer Version klingt Chris Isaaks „Wicked Game“ traurig und bittersüß wie nie. Ein grandioser Abgesang — womöglich auf die achtziger Jahre.

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