Mihkel Kütson: Der Dirigent für die schwierigen Fälle

Der Generalmusikdirektor sprang kurzfristig für einen Kollegen ein. Und nicht irgendwo, sondern an der Semperoper in Dresden.

Mihkel Kütson: Der Dirigent für die schwierigen Fälle
Foto: Dittrich

Krefeld. Essen, Trinken, Schlafen — alles nur noch Nebensache: Krefelds Generalmusikdirektor Mihkel Kütson schaffte, was eigentlich gar nicht geht: Er übernahm kurzfristig das Dirigat für seinen kranken Kollegen Lothar Koenigs an der Semperoper in Dresden. „Die Staatskapelle Dresden ist eines der besten deutschen Orchester. Man kann sagen, das ist Champions League“, schwärmt Kütson, ohne dabei die Fähigkeiten der Niederrheinischen Sinfoniker schmälern zu wollen. „Man kann sagen, das ist einfach eine andere Gewichtsklasse, aber das ist doch auch klar.“

Mihkel Kütson: Der Dirigent für die schwierigen Fälle
Foto: abi

Auf dem Spielplan in Dresden: Engelbert Humperdincks „Königskinder“. Sechs bis sieben Wochen sind fürs Einstudieren an Opernhäusern normalerweise angesetzt. Kütson musste es in zweieinhalb Wochen schaffen. „Das war auch für die Semperoper eine heikle Aufgabe“, sagt Kütson.

Aber er entpuppte sich als der Dirigent für die schwierigen Fälle: Nur drei Tage hatte er vor der ersten Orchesterprobe in Dresden Zeit, um sich in die Partitur einzulesen. Um das stramme Programm durchziehen zu können, ging es morgens sehr früh direkt an den Schreibtisch. Da blieb kaum Zeit für einen Kaffee zwischendurch. „Ich musste einfach sehr, sehr systematisch vorgehen“, sagt der 43-Jährige, der schaffte, was fast unmöglich schien.

Der Kopf der Niederrheinischen Sinfoniker arbeitete dabei auch noch unter erschwerten Bedingungen. „Denn ich konnte keine anderen Dirigenten nach Details fragen. Das Stück wird absolut selten gespielt. Das hat nicht jeder drauf.“

Was Kütson die Aufgabe etwas erleichterte und weswegen man in der Semperoper auch auf ihn kam, als alles zu platzen drohte: Er hat bereits mehrfach „Hänsel und Gretel“ von Humperdinck dirigiert. Und das auch schon in Dresden. Im Dezember war es das vierte Mal. „Es ist ein Stück, das ich sehr liebe“, sagt der gebürtige Este, der zwischen Dresden und dem Niederrhein gewissermaßen hin- und herjettete, weil er beispielsweise an den Abenden noch die Operngalas in den Theatern in Krefeld und Mönchengladbach vor der Brust hatte.

„Königskinder“ sei „Hänsel und Gretel“ vom Stil her ähnlich. Wenn er von der Märchenoper „Königskinder“ spricht, mit der er am kommenden Sonntag noch ein letztes Mal für dieses Jahr in Dresden vor Publikum tritt, begeistert er sich. „Es ist ein wunderschönes Stück.“ Es sei vom Komponisten sehr liebevoll erdacht, mit augenzwinkernden Bezügen zu eigenen Werken und der Musikgeschichte.

„Es erschließt sich mir überhaupt nicht, warum es so selten gespielt wird“, sagt der Künstler, der seine erste Stelle als Dirigent mit 27 Jahren antrat und in seiner dritten Saison am Niederrhein arbeitet. Und er überlegt laut: „Vielleicht, weil man Erwachsenen nicht zutraut, dass sie in ein Märchen kommen? Oder weil man zwar von einer Oper kein Happy End erwartet, aber von einem Märchen?“ Schon oft habe er Menschen über dieses Werk sagen hören, dass sie nicht verstünden, warum es so enden müsse. Das Gute siegt nicht. „Aber das macht das Stück eigentlich interessant“, sagt Kütson.

Vielleicht wäre es auch etwas für die Krefelder Theaterbesucher, sagt er. „Warum nicht? Wir haben hier auch Stücke, die selten gehört werden. Es hat dankbare Gesangspartien und wunderbare Facetten.“ Und es sei gesellschaftskritisch und im Prinzip hochaktuell. „Es geht ums Fremdsein, um das Ausschließen anderer, das Verkennen des Guten.“

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