Serie "Schlaglichter der Sammlung": Turnübung erschafft ein Monster

Sigmar Polkes Vexierbild „Im Westen nichts Neues, Himmelstoß“ enthält sich nicht der politischen Kritik.

Krefeld. Man muss ein wenig zurücktreten, wenn man etwas erkennen will. Grobe weiße Rasterpunkte weisen immerhin auf den Ursprung des Bildes hin: Sigmar Polke hat offenbar eine Schwarz-Weiß-Fotografie zur Grundlage seines Gemäldes gemacht.

Aber was sieht man? Eine monsterähnliche Kreatur mit menschlichen Händen? Oder verbirgt sich doch etwas anderes dahinter? „Im Westen nichts Neues, Himmelstoß“ heißt das Vexierbild mit dem rätselhaften Wesen.

Der Titel gibt keine Rätsel auf. Hier sind eindeutig der berühmte Roman von Erich Maria Remarque und daraus die Figur des Unteroffiziers Himmelstoß gemeint. Der Ausbilder Himmelstoß ist ein Menschenschinder, und das weist den Weg zur Deutung.

Dr. Martin Hentschel, Leiter der Krefelder Kunstmuseen, ist ein ausgewiesener Polke-Experte. Er hat über den Künstler promoviert und 1997 dessen erste große Retrospektive in der Bundeskunsthalle Bonn kuratiert.

Und so weiß Hentschel natürlich auch, was zu sehen ist. Polke hatte in einem Buch über den Ersten Weltkrieg ein Bild von Soldaten gefunden, die Freiübungen machen.

Der Soldat auf dem Bild liegt auf dem Rücken, schwingt Gesäß und Beine Richtung Kopf. Die Arme hat er aufgestützt, sie weisen in die andere Richtung. Der Hemdzipfel fällt nach unten und wirkt in dem Ausschnitt, den Polke gewählt hat, als schnabelartiges Gebilde wie der Teil eines Monstergesichts. Der im Titel angesprochene Himmelstoß hat also aus einem jungen Soldaten ein Monster geschaffen? Natürlich ist es der Künstler, der diesen Zusammenhang herstellt.

Gemalt ist das Bild auf durchschnittlichen Dekorationsstoffen. Bürgerliche Alltagsästhetik liefert die Tapete für Polkes Kritik, die man durchaus politisch verstehen kann. Das Bild schlägt anscheinend die Brücke vom Ersten Weltkrieg zum Auslandsengagement der Bundeswehr in heutiger Zeit. Dass man auch Polkes Kritik wiederum kritisch hinterfragen kann, steht außer Frage. Das raubt seinem Bild aber nicht die Kraft, Denkanstöße zu geben.

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