Wintermärchen als Wechselbad - Intendant Michael Grosse erweckt Heine zum Leben

Krefeld. „Im traurigen Monat November war’s, / Die Tage wurden trüber,/ Der Wind riß von den Bäumen das Laub,/ Da reist ich nach Deutschland hinüber.“ So beginnt Heinrich Heines gewaltiges Versepos „Deutschland.

Ein Wintermärchen“, einer der stärksten Texte, die je über Deutschland geschrieben wurden.

In einem wunderbaren Solo-Abend brachte Intendant Michael Grosse dieses Werk auf die Bühne. Es beeindruckt auch nach gut 160 Jahren noch nachhaltig.

Nach zwölfjährigem Exil in Frankreich reist Heine im Herbst 1843 nach Hamburg, wo er seinen Verleger trifft und seine Mutter besucht. Kaum nach Paris zurückgekehrt, verarbeitet er seine Eindrücke von den restaurativen Zuständen in der durch Klein-staaten geprägten Heimat in einer Reiseschilderung, in der sich Realität und Fantasie auf faszinierende Weise vermischen.

Spott und schonungslose Kritik auf der einen, Verzweiflung und tiefe Heimatliebe auf der anderen Seite kennzeichnen den ironisch als „Wintermärchen“ bezeichneten Text. Über 27 Kapitel erlebt man mit dem Dichter ein Wechselbad der Gefühle.

Vom „langweiligen Nest“ Aachen fährt er nach Köln, wo er mit dem „Vater Rhein“ Zwiesprache hält. Er reist weiter über Hagen, Unna und Osnabrück. Bittere Kritik am Obrigkeitsdenken mischt sich mit Schwärmereien von deutschen Federbetten, deutschem Essen und der Treue der Westfalen. Höhepunkt ist die als Traum gestaltete Begegnung im Kyffhäuser mit Kaiser Barbarossa, den er als Verbündeten für eine deutsche Vereinigung gewinnen möchte.

Mit großer Präsenz schlüpft Grosse in die Rolle des Dichters und Erzählers, facettenreich und mit farbiger Diktion gestaltet er die unterschiedlichen Stimmungen der Kapitel.

Dabei wird er nie zu laut oder pathetisch, sondern bedient sich einer wirkungsvollen Beiläufigkeit, um Heines schonungslose Kritik offenzulegen. Auch die feine Ironie und die hinter dem Spott durchschimmernde fast verzweifelte Vaterlandsliebe kommen in Grosses Interpretation wunderbar zum Ausdruck.

Ein Minimum an Requisiten (Stuhl, Tisch, Podest) genügt dem Darsteller, der den Text nicht nur rezitiert, sondern im Spiel zum Leben erweckt. Dabei zeigt sich die unglaubliche Modernität des Werks. Nicht zuletzt dadurch entsteht eine große Nähe zum Publikum.

Als Zuhörer ist man bei dem mit Anspielungen und Zitaten gespickten Text über knapp zwei Stunden — mit einer kurzen Pause — extrem herausgefordert. Umso bewundernswerter ist die fast schon lässig erscheinende Leichtigkeit, mit der Grosse auswendig parliert. Viel Beifall.

Weitere Aufführungen: 2. und 20. Dezember, 20 Uhr sowie 2012. Karten unter Telefon: 805-125.

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