Kunstfehler: Mutter kämpft um ihr Recht

Über 15 Jahre nach einem verhängnisvollen Kunstfehler im Josefshospital dauert der Streit mit der Versicherung immer noch an.

Krefeld. Das Grundstück für ein behindertengerechtes Haus in Meerbusch-Strümp hat Muna Abdi gekauft, doch bauen kann sie nicht: Trotz eines eindeutigen Gerichtsurteils nach dem Kunstfehler bei der Geburt ihres Sohnes vor über 15 Jahren im Josefshospital und einer Einigung im Februar hat die Versicherung des Krankenhausträgers bislang nur die Kosten für den Pflegeaufwand gezahlt.

Dabei hatte das Oberlandesgericht 2009 entschieden, dass dem Kläger (der schwerstbehinderte Junge) „alle materiellen Schäden zu ersetzen sind, die ihm infolge der fehlerhaften Geburtsleitung entstanden sind“.

Nach Berechnungen der Marler Patientenanwälte Stefan Hermann und Sabrina Diehl könnte es letztlich um 16 Millionen Euro gehen, inklusive lebenslangem Verdienstausfall. Denn ein Gutachter hat dem 15 Jahre alten Abschir eine normale Lebenserwartung prognostiziert.

„Es ist eine Frechheit“, sagen die im Arzthaftungsrecht versierten Anwälte, „dass die Versicherung nur 15 000 Euro für ein Grundstück zahlen will, das 145 000 Euro plus 20 000 Euro Steuern und Notarkosten gekostet hat.“ Ein behinderter Architekt aus Kaarst, Spezialist für solche Häuser und anerkannter Sachverständiger, hat die Pläne für das Haus fertig — doch die Versicherung will die Baupläne durch einen weiteren Sachverständigen prüfen lassen.

Am Mittwoch teilte Margit Haller von der Aachen Münchener Versicherung mit, dass am 4. Oktober eine Abschlagszahlung von 80 000 Euro angewiesen worden sei. „Für die Erstattung von Mehraufwand warten wir noch auf Unterlagen“.

Doch Patientenanwalt Stefan Hermann reicht dieser Betrag nicht: „Wir fordern 200 000 für das Grundstück und den Pflegeaufwand. Wir werden Klage gegen den Krankenhausträger beim Krefelder Landgericht einreichen. „Dann ist die Versicherung aus dem Spiel.“

Im Übrigen seien die 80 000 Euro bis Mittwochmittag noch nicht eingegangen. Außerdem würden mit dem Eigenheim weitergehende Kosten gemildert. Hermann: „Dann kann die Mutter mehr in die Pflege eingreifen.“

Muna Abdi steht vor einem Haufen finanzieller und organisatorischer Probleme. Ihr spastisch gelähmter und hirnorganisch geschädigter Sohn wiegt gut 35 Kilo und ist stark gewachsen. „Es ist selbst für das Pflegepersonal kaum noch möglich, ihn in dem engen Badezimmer in die Wanne zu heben.“

Eine Gutachterin hat die Untauglichkeit der sanitären Einrichtung in der Lanker Mietwohnung für die Pflege des Jungen bescheinigt. 21 Tage im Monat betreuen Fachkräfte eines Kinderkrankenpflegedienstes den Jungen — die Kosten bestreitet die Mutter von den 600 000 Euro, die die Versicherung bisher für 14 Jahre Pflege gezahlt hat. Bis zu 12 000 Euro im Monat muss sie dafür aufbringen, und die Beträge werden steigen.

„Nach den Herbstferien übernimmt der Landschaftsverband nicht mehr den Einzeltransport zur Förderschule. Dann muss eine Krankenschwester den Jungen begleiten.“

Denn ein etwa einstündiger Sammeltransport mit anderen behinderten Kindern von der Wohnung in Lank zur Gerhard-Jansen-Schule am Luiter Weg in Traar ist dem schwerstbehinderten Jungen laut Arzt-Attest nicht zumutbar.

Muna Abdi, gebürtige Somalierin und alleinerziehende Mutter von insgesamt vier Kindern, hat einen Kleinbus angeschafft, mit dem sie ihren an den Rollstuhl gefesselten Sohn von der Schule abholt. Sie selbst erhält für die Pflege des Jungen einen Satz von 12,50 Euro die Stunde, die Pflegekräfte das Dreifache.

Sollte der Hausbau nicht in absehbarer Zeit möglich sein, muss die Familie erst einmal eine behindertengerechte Wohnung suchen. „Für Abschir brauchen wir zwingend ein anderes Badezimmer.“

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