Kinderschutzbund Mit 17 ein Mädchen missbraucht

Bei einem sozialen Praktikum hat Nico sich zum ersten Mal an einem Kind sexuell vergriffen. Der Kinderschutzbund hilft ihm und weiteren Jungen, nicht rückfällig zu werden.

Kinderschutzbund: Mit 17 ein Mädchen missbraucht
Foto: dpa

Krefeld. Nico ist 17 Jahre alt als er sich erstmals an einem Kind sexuell vergreift. „Ich hatte Stress und Frust und dachte, darüber könnte ich den Stress abbauen“, erzählt er zwei Jahre später offen und ehrlich der WZ. Einen Tag nach der Tat holt ihn die Polizei ab, nimmt ihn mit zum Verhör. Er ist sofort geständig und sucht sich mit Hilfe seiner Eltern professionelle Hilfe, um nicht weiter sexuell übergriffig zu werden. „Für das Opfer ist das Alter des Täters egal. Es ist eine Straftat“, sagt Dietmar Siegert vom Kinderschutzbund ohne jegliche Form von Verharmlosung.

Kinderschutzbund: Mit 17 ein Mädchen missbraucht
Foto: Andreas Bischof

Siegert sitzt neben ihm und weiß, wovon er spricht. Als Geschäftsführer der Anlaufstelle für Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung „Wendepunkt“ hilft er nicht nur jungen Opfern. Seit jetzt zehn Jahren arbeitet er in einer eigenen Gruppe auch mit mehreren Jungen, die schon in jungen Jahren andere Kinder sexuell missbraucht haben oder den starken Drang danach verspüren.

„Etwa die Hälfte der erwachsenen Täter ist bereits im Jugendalter sexuell übergriffig geworden“, sagt Siegert. Laut Statistik werden etwa 20 bis 25 Prozent aller Vergewaltigungen und 30 bis 40 Prozent des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Minderjährige oder Heranwachsende begangen. Deshalb sei die psycho-erzieherische Arbeit mit auffällig gewordenen Jugendlichen so wichtig.

Nico (Name von der Redaktion geändert) ist heute noch sehr froh, einen Platz in der Gruppe erhalten zu haben. Und er will, dass andere Jungs davon erfahren. Die intensive Gruppenarbeit habe ihm dabei geholfen, sich und seine Gefühle im Leben, aber auch seine Motive für den Missbrauch kennenzulernen. Bei ihm waren es Stress und Frust, bei einem anderen Jungen sei es Wut gewesen. „Hier habe ich mir einen Weg erarbeitet, was zu tun ist, wenn diese Gefühle in mir hochkommen“, erzählt er mit fester Stimme. Dabei bagatellisiert er nichts.

Nur seine Eltern und Großeltern wissen von seiner Tat — und sie halten zu ihm. „Die Unterstützung durch die Familie spielt eine große Rolle beim Erfolg der einjährigen Gruppenarbeit“, sagt Siegert. Oftmals seien die Eltern es zu Beginn, die den erfolgten Missbrauch verharmlosen wollten, während die Jungen ihn für sich schon klar benennen.

Auch Nico war sich seines Handelns bewusst. Im Rahmen eines schulischen, sozialen Praktikums in einer Kindertagesstätte war es im Laufe einer sogenannten Übernachtungsparty zu den sexuellen Übergriffen gekommen. „Ich hatte am Morgen danach sofort Bauchschmerzen und Angst, dass es rauskommt“, erinnert sich der 19-Jährige noch heute sehr genau. Auf dem Weg nach Hause habe er überlegt, ob er es gestehen solle oder nicht. Die Entscheidung wurde ihm in dem Fall abgenommen, als abends die Polizei an seinem Elternhaus klingelte.

„Ich habe mir eingeredet, das macht dem Mädchen doch nichts, es könnte ihr ja auch gefallen haben“, sagt er und weiß heute, dass er damit die Tat nur ausblenden wollte. Deshalb habe es ihn auch sehr betroffen gemacht, als er in der Gruppe beim Kinderschutzbund später mit den anderen auffälliggewordenen Jungen Briefe von missbrauchten Mädchen lesen durfte. Die hatte Siegerts Kollegin Maria Schumacher mit deren Erlaubnis aus einer heilpädagogisch-therapeutischen stationären Einrichtung in Brüggen mitgebracht, in der sie nebenher arbeitet.

„In jedem Brief tauchte die selbe bange Frage auf, ob man ihnen als Opfer glauben würde oder ihnen noch die Schuld an dem Erlebten zuschieben würde.“ Da habe er begriffen, was er dem Mädchen angetan habe.

Durch einen älteren Flyer hatten er und seine Eltern von der Rückfallvorbeugung des Krefelder Kinderschutzbundes gehört und sich auf eigene Kosten direkt dort angemeldet. Auch einen Therapeuten hat er zeitgleich längere Zeit freiwillig besucht. Das hat sich positiv auf das Gerichtsurteil ausgewirkt. Unter der richterlichen Auflage, die Gruppe weiter zu besuchen, hat er auch wegen seines sofortigen Geständnisses ein Jahr auf Bewährung bekommen.

„Er hat gute Pronosen, nicht mehr übergriffig zu werden“, sagt Siegert. So wie die meisten der Jungs in den vergangenen Jahren. Und für den Fall, dass „diese Gefühle“ — wie Nico das benennt — doch noch mal hochkommen, hat er jetzt einen Rettungsplan gemeinsam mit Siegert erarbeitet. „Der reicht von einer benannten Notfallperson, an die er sich dann sofort wenden kann, bis hin zu der Möglichkeit, hier beim Kinderschutzbund anzurufen und sich Hilfe zu holen“, erklärt Siegert.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort