Psychologe Thomas Aigner: "Noten sind Ausdruck unseres Leistungssystems"

Psychologe Thomas Aigner über den Stress bei der Zeugnisvergabe und die heftige Konkurrenz in manchen Schulklassen.

Psychologe Thomas Aigner: "Noten sind Ausdruck unseres Leistungssystems"
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Krefeld. Am Freitag werden wieder Zeugnisse vergeben - eine Stresssituation für viele Familien. Denn auch wenn die Noten gut ausfallen, ist der Druck für viele Schüler erheblich. Im Gespräch erklärt Thomas Aigner, Leiter des Psychologischen Dienstes der Stadt Krefeld, die Gründe dafür und wie Eltern darauf reagieren sollten.

Herr Aigner, was droht Kindern, wenn sie schlechten Noten nach Hause bringen?

Thomas Aigner: Das ist ganz unterschiedlich. Für Kinder sind es in erster Linie Kränkungen, fühlen sich ungerecht bewertet. Zudem haben Eltern manchmal hohe Erwartungen, denn Noten sind einfach Ausdruck unseres Leistungssystems. Eine schlechte Note kann richtig weg tun, vor allem, wenn man weiß, dass man für eine gute Note belohnt worden wäre. Wenn zusätzlich die Versetzung gefährdet ist, erhöht das den Druck nochmals.

Gibt es auch noch Fälle von körperlicher Bestrafung?

Aigner: Wir haben keine Kenntnis von solchen Fällen. Wenn es zu Gewalt in der Familie gegen Kinder kommt, dann hat das andere Ursachen als ein Zeugnis.

Ist im Gegenzug der psychische Druck auf Schüler gewachsen?

Aigner: Da sind Familien sehr unterschiedlich, aber die Belastung ist in manchen Bereichen sicher gewachsen. Der Erfolgsdruck ist bei vielen ab dem ersten Schultag da. Nämlich dann, wenn Onkel und Tanten die Einschulung begleiten und dem Kind vermitteln, dass Schule und der Erfolg dort etwas ganz Wichtiges ist.

Das ist erstmal nur ein Moment. . .

Aigner: . . . aber es setzt sich fort, wenn es darum geht, eine Empfehlung für das Gymnasium zu bekommen oder später den Nummerus Clausus an der Universität zu schaffen. Schulischer Erfolg ist der Königsweg und für viele Eltern das Gymnasium die einzig akzeptable Schulform.

Wir leben in einer Ranking-Gesellschaft. Auch in den Klassenzimmern?

Aigner: Das hängt sehr vom Schulklima ab. Es gibt Schulen, an denen ein sehr harter Konkurrenzkampf herrscht und wo Lehrer versuchen, die Situation über den Elternabend zu entschärfen. In vielen Klassen ist es cool, zu den Guten zu gehören und wo man nicht zu den Verlierern gehören will.

Hat das mit der Schulform zu tun?

Aigner: Ausdrücklich nein. Es hängt viel mehr vom Binnenklima in der jeweiligen Klasse ab.

Gibt es in Krefeld eine informelle Ansehensrangliste der Gymnasien?

Aigner: Aus meiner Erfahrung nicht. Die Gymnasien haben verschiedene Profile und Lehrschwerpunkte. Natürlich gibt es Profile, die sich vor allem an leistungsstarke Schüler wenden. Aber Leistung verlangen sie generell alle.

Wie sollten Eltern reagieren, wenn das Kind sich selbst zu viel Druck macht?

Aigner: Zunächst die Sorgen anhören und ernstnehmen, dann aber auch dafür sorgen, dass die Schule nicht zum dominierenden Thema wird. Jedes Kind hat viele andere Talente, die es auszeichnen und liebenswert machen. Und das muss ihm auch glaubwürdig gezeigt werden. Auch eine schlechte Note muss mal okay sein. Eltern sind selbst ein Vorbild darin, wie man mit Niederlagen umgeht.

Sind Belohnungen sinnvoll?

Aigner: Ja, aber unabhängig davon, ob das Zeugnis gut oder weniger gut ist. Der Entzug einer Belohnung ist direkt eine Strafe. Außerdem ist jedes Zeugnis ein Beweis dafür, dass sich der Schüler Mühe gegeben hat und dafür Aufmerksamkeit und Zuwendung verdient hat. Denn ein halbes Jahre zur Schule zu gehen, ist auch anstrengend.

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