Sektenarzt zieht nach Linn

Chilenische Geheimpolizei auf dem Holzweg: Der Funktionär der „Colonia Dignidad“ lebt ganz offiziell am Niederrhein.

Krefeld. Auf dem Fensterbänken stehen Farbtöpfe, Tapetenrollen sind zu sehen. Hinten auf dem Balkon eine Frau, die bei der Renovierung der unauffälligen Wohnstätten-Wohnung in Linn selbst Hand anlegt: Esther H., die Gattin des von der chilenischen Justiz gesuchten Hartmut H., dem früheren „Außenminister“ und Arzt der berüchtigten „Colonia Dignidad“, in der bis etwa Mitte der 90er Jahre erwiesenermaßen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen worden sind. Möglicherweise sogar Morde.

Das Ehepaar H. hat sich keinesfalls in einer „Krefelder Kirche“ versteckt, wie es die chilenische Polizei örtlichen Medien steckte, sondern lebt ganz offiziell am Niederrhein. Sein Aktenzeichen beim Willicher Sozialamt: 6 2861 0502 00894. Dort bezieht es seit Monaten Sozialhilfe, weil es eine Zeitlang in Schiefbahn gewohnt hat. Die Stadt Willich beruft sich auf den Datenschutz und sagt nichts.

Anders ein Hausbesitzer aus Kempen, in dessen Krefelder Objekt an der Uerdinger Straße Hartmut H. einziehen wollte. „Er machte auf meinen Verwalter einen absolut seriösen Eindruck. Seinen Bescheid vom Willicher Sozialamt hat er gleich mitgebracht.“

Aber der Vermieter, ein Jurist, der seinen Namen nicht veröffentlicht wissen möchte, war vorsichtig. „Dann googeln wir den H. doch mal“, sagte er sich — und wurde prompt fündig. Angesichts der Vorwürfe gegen Hartmut H. und die öffentlich gemachten Auslieferungswünsche chilenischer Politiker an die Bundesregierung sah er von einem Mietverhältnis ab.

Den deutschen Strafverfolgungsbehörden sind derzeit die Hände gebunden. Der Krefelder Oberstaatsanwalt Hans Dieter Menden: „Wir brauchen etwas Konkretes, Akten aus Chile.“ Ein Auslieferungsabkommen existiert immerhin.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf verweist auf die Zuständigkeit des Bundesamtes für Justiz in Bonn oder des Auswärtigen Amtes in Berlin: „Ein offizielles Ersuchen wird einige Zeit in Anspruch nehmen.“

„Kein Fall für uns“, stellte die Krefelder Polizei am Donnerstag in der Frühbesprechung fest. Gerade war ein Hinweis von der Wohnstätte eingegangen, wer dort die „Wohnung oben rechts“ in dem Linner Objekt gemietet hat. Bei der städtischen Tochter wird aufmerksam Zeitung gelesen.

Groß war am Donnerstag auch die Aufregung im münsterländischen Gronau. Denn von dort stammen die meisten Gründungsmitglieder der früheren „Colonia Dignidad“, die der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde angehörten und die dem Nazi und Seelenfänger Paul Schäfer zunächst nach Siegburg und 1961 dann ins südliche Chile gefolgt waren.

Heute nennt sich die deutsche Siedlung am Ende einer Straße vor der Anden „Villa Baviera“, etwa 200 meist mittellose Menschen versuchen, sich über Wasser zu halten, auch mit Tourismus.

Esther H. auf dem Wohnstätten-Balkon in Linn hat weder Zeitung gelesen noch die Radio-Nachrichten über ihren Mann gehört. Sie wisse nichts. Bevor sie entschwindet gibt sie aber Auskunft, dass ihr Mann nicht zu sprechen sei: „Er ist heute den ganzen Tag unterwegs.“

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