Benrad: Stadtteil mit vielen Gesichtern

Lindental ist vor allem von großen Gärten geprägt, Gatherhof durch Hochhäuser.

Krefeld. Es ist ein lauschiges Plätzchen hier hinter dem Haus von Martin R. Becker an der Michaelstraße. Ein kleiner Pfad schlängelt sich von der Terrasse durch üppige Blumenbeete — hin zu dem Blick, den das Ehepaar Becker/Möller besonders liebt. Hinaus auf die weiten Felder mit den alten Bauernhöfen Benrads im Hintergrund.

„Die Lebensqualität ist hier wirklich 1a“, lobt der Künstler und meint damit vor allem Lindental. Denn: „Benrad ist nicht so einfach zu fassen“, findet Becker. Teilt sich der statistische Bezirk doch in Nord und Süd und umfasst so unterschiedliche Gebiete wie eben Lindental, Gatherhof, Schicksbaum und einen Teil des Kempener Felds. „Sogar Tackheide gehört noch dazu.“

Beckers Herz gehört in erster Linie jedoch Lindental. Denn hier wohnt das Ehepaar seit 1988. Und so führt uns die Rundreise zunächst in die labyrinthischen Straßen des alten Arbeiterviertels. Mit dem Fahrrad diesmal, so ist der langgestreckte Bezirk am besten zu erkunden.

Kaum sind wir von der Gatherhofstraße um die Ecke gebogen, zwitschert und tiriliert es, ansonsten herrscht eine himmlische Ruhe. „Das waren früher alles Nutzgärten“, sagt Becker und zeigt auf die großen Grundstücke der alten Siedlerhäuser, zum großen Teil noch eingerahmt von richtigen Hecken.

Was es mit dieser ungewöhnlichen Struktur und den seltsamen Straßennamen wie „Arbeitsfrieden“ und „Schmelzergang“ auf sich hat, kann neben Becker auch Ralf Schiffer erklären, den wir zufällig am Platz „An de Pley“ antreffen.

Geplant worden sei sie in den 1930er Jahren als Siedlung für die Edelstahlwerker, weiß der ehemalige Vorsitzende der Siedlergemeinschaft. Gemäß dieser Zeit hätte der Platz auch noch größer werden sollen.

„Ein Aufmarschplatz“, sagt Schiffer und zeigt sich erleichtert, dass es letztlich anders kam. Diese unselige Zeit habe ja nur kurz gedauert, kommentiert auch Becker und schwingt sich wieder auf den Drahtesel.

Gegenüber vom einstigen Kinderhort — heute Kindergarten und Heimstatt von Vereinen — springen gänzlich aus der Optik fallende Neubauten ins Auge. Zugeständnisse an den modernen Wohnraumbedarf, die auf Unverständnis in der Siedlung getroffen sind.

Durch die Teilung der großen Grundstücke sei die einzigartige Atmosphäre in Gefahr, argumentierte zuvor schon Schiffer. Becker dagegen sieht die Häuser gelassen: „Ich finde es schon apart, wenn etwas nicht uniformiertes gebaut wird.“

Quadratisch und praktisch präsentieren sich dagegen die Hochhäuser aus den 1960/-70er Jahren, die den angrenzenden Gatherhof prägen. Immerhin werden sie gerade saniert und geben jetzt ein freundlicheres Bild ab. Traurig wirkt dagegen die kleine Geschäftszeile an der Ecke Aldekerker Straße.

Christa Parma-Hammer, Verkäuferin in der Bäckerei Knops, übt sich zwischen den leeren Ladenlokalen als Einzelkämpferin — was ihrer guten Laune keinen Abbruch tut. Etwas mehr Engagement für den Stadtteil würde sie sich aber schon wünschen. „Immerhin wird die Gaststätte ,Lindenstübchen’ wieder aufgemacht“, freut sie sich.

Einige hundert Meter weiter herrscht an der Ecke Dülkener-/Gatherhofstraße etwas mehr Betrieb. In dem Geschäftszentrum gibt es sogar noch einen Radladen und einen Fernsehtechniker. Die Besonderheit für Becker: „Durch die vielen Aussiedler gibt es im Supermarkt ein großes russisches Angebot.“ Und manchmal werde sogar der Grill angeworfen, abends vor den Häusern geklönt.

Die Fahrräder tragen uns nun in für Becker unbekanntere Gefilde — den Norden Benrads. Eine ebenfalls auf dem Reißbrett entstandene Siedlung der anderen Art ist der fast schon eigene Stadtteil Schicksbaum. Becker fällt hier vor allem ein Unterschied zu den alten Siedlerhäusern ins Auge. „Die Grundstücke sind viel kleiner.“

Nutzgärten sind im vergangenen Jahrzehnt eben kein Thema mehr gewesen, Kosten dafür umso mehr. Immerhin sorgt die grüne Achse in der Mitte für Licht und Luft, dient den Kindern als Spielplatz.

Diese müssen zur angrenzenden Grundschule über die stark befahrene Straße Am Schicksbaum, was beim ehemaligen Lehrer Becker für Unverständnis sorgt. „Dafür bildet die Schule nun eine Einheit mit dem Schulzentrum Horkesgath“, kann er die Planung dennoch nachvollziehen.

Nach einem kurzen Schlenker über das Kempener Feld führt uns der Weg zurück zu Beckers Lieblingsplatz — seinen Garten im Lindental. Hier kann er bei herrlichstem Frühsommerwetter heute bestimmt auch wieder ein Ereignis besonders genießen. „Wir haben die schönsten Sonnenuntergänge“, schwärmt Ehefrau Marlies Möller.

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