Als Krefeld groß wurde

Vor 125 Jahren wurde das einstige Zentrum der Hausweber zur Großstadt. Die Industrie trat ihren Siegeszug an.

Krefeld. Auch wenn Krefeld von manchem Spaßvogel als großes Dorf irgendwo in Europa betitelt wird, handelt es sich doch — nach Adam Riese — um eine Großstadt. Und das sogar bereits seit 1887, also seit nunmehr 125 Jahren. Denn am 19. November erblickte hier mit Hermann Peschkes der 100 000. Einwohner das Licht der Welt. Eine Gedenktafel erinnert noch heute an der Prinz-Ferdinand-Straße an dieses Ereignis.

Dass dieser Hermann Peschkes in einem sogenannten Krefelder Haus lebte, ist symptomatisch für diese Ära. Schließlich hatte Krefeld da geradezu eine Bevölkerungsexplosion erlebt. Gab es 1845 noch 31 000 Einwohner, war die Bevölkerung 1870 schon auf 57 000 angewachsen, die sich nur 17 Jahre später eben fast verdoppelt hatten.

Eine Entwicklung, die der beginnenden Industrialisierung geschuldet war. So musste sich der Handel nach der Herrschaft der Franzosen neue Märkte suchen, die alten Seidenbarone gaben nicht mehr den Ton an, neue Unternehmensformen wie selbständige Webereien und Lohnfärbereien entstanden. Die Zahl der Webstühle war bis Mitte des 19. Jahrhunderts von 4000 auf rund 10 000 gestiegen.

Das sogenannte Krefelder Haus, das auch heute noch weite Teile der Innenstadt prägt (von 5000 Häusern gibt es noch etwa 3500), diente da keineswegs den reichen Unternehmern als Domizil — auch wenn die verzierten gründerzeitlichen Fassaden ebendies vermuten lassen. Hinter dem schönen Äußeren verbargen sich vielmehr zum großen Teil schlichte Unterkünfte, angepasst an die Bedürfnisse der Arbeit der Hausweber — und zwar in erster Linie daran. Die Webstühle mussten an den Fenstern stehen, wodurch die Maße für das spezielle Krefelder Drei- oder Vierfensterhaus entstanden. In die doch eher kleinen Häuser quetschten sich fünf bis neun Familien, die in unabgeschlossenen kleinen Wohnungen lebten, ohne Wasser und ohne Toiletten. In der Hochzeit der Seidenbarone hatten die Hausweber oft noch über eigene kleine Häuschen verfügt, ausgestattet mit Garten und Stall für die Eigenversorgung. Dafür blieb in den Krefelder Häusern des 19. Jahrhunderts nun kein Platz mehr: Durch die Flügelanbauten gab es allerhöchstens noch Raum für einen winzigen Garten, der bei weitem nicht ausreichte für die Verpflegung der Bewohner.

Das System der Hausweberei erlebte zur Zeit des deutsch-französischen Krieges 1870/71 seine letzte Blütezeit. Noch einmal gab es einen Zuzug von verarmten Webern aus dem Umkreis. Noch einmal wurde flugs neuer Wohnraum geschaffen. So wurden zwischen Westwall und neuer Ringstraße, zum Beispiel an der Blumenstraße, etwa 40 Häuserblocks mit ebenjenem Drei- oder Vier-Fenster-Haus geschaffen. Nach der Hochstimmung folgte jedoch der tiefe Fall, die Konjunktur brach ein, um 1880 traten zudem die mechanischen Webstühle der Fabriken ihren Siegeszug an.

Ein herber Schlag für die stolzen niederrheinischen Handweber, die sich doch 1848 nach einem der Krefelder Weberaufstände das Recht erkämpft hatten, die Webstühle anzukaufen, um als eigenständige Handwerksmeister zu gelten.

Die Konjunkturkrise hatte darüber hinaus zur Folge, dass ein Umdenken stattfand: Andere Industriezweige rückten in den Vordergrund. Vor den Toren der Stadt entstand ein Stahlwerk, 1901 fiel die Entscheidung, einen Hafen zu bauen. Die junge Großstadt Krefeld schickte sich an, Industriestadt zu werden.

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