Der Goldschatz vom Inrath

Lothar Claesges gewann 1964 bei den Olympischen Spielen in Tokio Gold im Radsport. Für die WZ hat er seine Medaille aus dem Safe geholt.

Krefeld. Wenn die Olympioniken dieser Tage in London aufs Treppchen steigen, hat Lothar Claesges Tränen in den Augen. Er denkt an das Jahr 1964, an Tokio, an Gold. Im Bahnrad-Vierer gewann der heute 70-Jährige die Goldmedaille. „Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn die deutsche Nationalhymne erklingt“, sagt der gebürtige Krefelder und strahlt über das ganze Gesicht.

In einer schlichten, schwarzen Schatulle liegt sein Schatz gut bewahrt im Safe. Nur zu besonderen Anlässen holt er die Olympiamedaille heraus — heute ist die WZ zu Besuch. Erstaunlich leicht ist das gute Stück. „Silber vergoldet“, erklärt Claesges.

Dass er sich einmal den Traum eines jeden Sportlers erfüllen konnte, verdankt er einem roten Rennrad. Ein Schulkamerad fuhr mit diesem in der Volksschule vor. Für den zwölfjährigen Lothar war es Rad-Liebe auf den ersten Blick. Ein halbes Jahr später stand das Objekt der Begierde zum Verkauf. „Es sollte 60 Mark kosten. Damals ein kleines Vermögen.“ Seine Familie und die hauseigenen Hühner halfen bei der Finanzierung. Geld aus dem Verkauf von Hühnereiern legte schließlich den Grundstein seiner Karriere.

Der Junge mit dem roten Rennrad fuhr jeden Sonntag mit den Krefelder Radrennfahrern durch die Stadt — allerdings immer 100 Meter hinter dem Feld. „Nicht, weil ich nicht hinterher kam. Ich schämte mich, weil ich kein echter Rennfahrer war.“ Irgendwann entdeckte ein Teilnehmer den heimlichen Verfolger. „Du hast Talent, geh’ doch mal bei meinem Vater im Fahrradgeschäft vorbei“ — gemeint war das Fahrradgeschäft Mertens auf dem Nordwall.

So landete Claesges im Krefelder Radrennclub. Direkt im ersten Jahr — 1955 — wurde er Vereinsmeister. Im Sprint war der junge Fahrer am besten. „Da lag es nahe, den Bahnradsport auszuprobieren.“ Dieses Ausprobieren fand gleich bei den Deutschen Bahnmeisterschaften 1960 statt — Claesges wurde Deutscher Meister. Acht Tage hatte er lediglich Zeit, sich auf das neue Sportgerät einzustellen.

Vier Wochen nach dem ersten Sieg folgte der zweite, er gewann auch das 80 Kilometer lange Straßenrennen der Jugendklasse. Man wurde auf den Krefelder aufmerksam. 1964 war es dann soweit: Es ging zu den Olympischen Spielen nach Tokio.

Fast wäre Claesges aber ohne Medaille nach Hause geflogen. „Am Wettkampftag wachte ich mit Halsschmerzen auf.“ Er hatte sich schon mit seinem Schicksal abgefunden, da prasselte Regen aufs Olympische Dorf. „Die Starts auf freier Bahn wurden verschoben.“ Um ganze vier Tage. Bis dahin war Claesges wieder fit. 4:35,63 Minuten brauchte sein Team bis ins Ziel. „Die Atmosphäre im Stadion war Wahnsinn. Die Siegerehrung sehe ich immer noch vor mir“, erinnert sich der 70-Jährige als sei er gestern über die Bahn gefegt. Hat er einen schlechten Tag, geht er in Gedanken die Siegertreppe hoch. „Dann geht’s mir meistens wieder gut.“

Manchmal klappt dieses Gedankenspiel allerdings nicht. 1966 wurde er bei einer Trainingsfahrt von einem Auto erfasst. Er wurde schwer verletzt und kämpfte mit Lähmungen am linken Arm. Seit diesem Tag setzte er sich nur noch zwei, drei Mal auf den Sattel. „Die Angst fuhr einfach immer mit.“ Seine Leidenschaft gehört heute Oldtimern mit vier Rädern.

Nicht nur Claesges denkt aber gerne an seine Radsportzeit zurück: Regelmäßig bekommt er Fanpost aus ganz Deutschland. „Ich muss bald Autogrammkarten nachdrucken lassen“, erzählt er.

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