Devotionalien: Auszug aus dem heiligen Land

Mit dem Tod seiner Vaters hat Simon Krüll das Rosenkranzmuseum geerbt. Er hat keine Ahnung, was er damit anfangen soll.

Krefeld. Eigentlich müsste es nach Weihrauch riechen. All diese Marienstatuen und Kreuze, Rosenkränze und Heiligenbildchen haben über die Jahrhunderte so viel davon abbekommen, dass sie es in winzigen Dosen noch ausdünsten müssten. Aus der Masse an Devotionalien könnte dann wieder ein wahrnehmbarer Duft entstehen.

Doch es ist bloß kalt und ein bisschen feucht. Die alten Gasöfen bollern nicht mehr, die Heiligen verschwinden in Umzugskartons. Krefelds Rosenkranzmuseum, ein Jahrzehnt lang ein skurriler Wallfahrtsort an der Alten Linner Straße, wird ausgeräumt. Der ehemalige Galerist Rolf-Dieter Krüll, der es aufgebaut und bis zuletzt betrieben hat, ist im September gestorben.

Simon Krüll ist sein Sohn. Er hat mit kirchlichem Kitsch nichts am Hut. Dennoch wickelt er seit Tagen Christusfiguren aus Porzellan in Packpapier, legt Kreuze in Kartons, öffnet Schubladen und findet immer mehr seltsame Dinge. Etwa 3000 Exponate hat sein Vater ihm hinterlassen, und Krüll hat nicht den Hauch einer Idee, was er damit anfangen soll. „Ich lagere die Sachen erst mal ein“, sagt er. „Ich bringe es nicht übers Herz, sie einfach wegzuwerfen.“

Nur zwei Büsten und eine große Jesus-Statue hat der 49-Jährige mit nach Hause genommen — als Erinnerung an seinen Vater. Die Bindung war nicht immer eng, doch in den vergangenen Jahren hat der Sohn den Vater gepflegt. Rolf-Dieter Krüll war schwer krank, er wog 180 Kilogramm. „Letztes Jahr ist er trotzdem mit seinem elektrischen Rollstuhl von Bockum hierher gefahren, um das Museum zu öffnen.“

Das Wissen über die Exponate hat er mit ins Grab genommen. „Ich weiß nichts darüber“, sagt Simon Krüll. „Welches Jahrhundert, welcher Wert — keine Ahnung. Aber ich nehme an, dass hier auch Kostbarkeiten versteckt sind.“ Doch Trödlern traut Krüll nicht über den Weg, und um sich selbst mit den Devotionalien auf Märkte zu stellen, dafür fehlt ihm die Zeit. „Wenn der Laden in Italien oder Kevelaer stehen würde, hätte ich wohl kein Problem“, scherzt der gelernte Drucker.

Doch das skurrile Museum lag eben am Rand der Innenstadt, in einem Viertel, in dem in manchen Fenstern rote Herzen blinken. Nach dem Tod des Vaters hat Simon Krüll erfahren, dass auch viele verkrachte Existenzen bei ihm ein- und ausgingen. „In seinem Laden haben sie ihr Herz geöffnet, von der Prostituierten bis zum Professor. Und diese Menschen fragen jetzt nach ihm.“

Unter den Besuchern ist der russische Graffiti-Künstler Artem Wächter. Er hat vor Jahren zwei Wandbilder für Rolf-Dieter Krüll gesprüht. Der graue Graffiti-Jesus mit den leuchtend blauen Augen wirkt wie ein moderner Nachfahre traditioneller Heilandfiguren: Volkskunst im Wandel der Zeit.

Selbst jetzt noch, mit den fast leeren Wänden, in denen hunderte nutzloser Nägel stecken, hat das Museum etwas von einer Sakristei, und Rolf-Dieter Krüll mag für manche eine Art Seelsorger gewesen sein. Er selbst war längst aus der Kirche ausgetreten, wohl nach dem tragischen Tod seiner Frau im Jahr 2003. Sein Sohn hat auch das erst kurz vor der Beerdigung erfahren.

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