Jenny Latz: Kein Tarnkäppchen gegen den Makel

Mit 20 Jahren verlor die Hülserin innerhalb eines Jahres sämtliche Haare. Ihr Buch ist in einer neuen Auflage erschienen.

Krefeld. Die Haare von Jenny Latz lagen überall — auf dem Kopfkissen, im Bad, in der Küche. „Ich habe sie büschelweise verloren“, erzählt die heute 58-jährige Hülserin. „Mit dem Verlust meiner hüftlangen Haare durch den Kreisrunden Haarausfall, einer Störung des Immunsystems, vor knapp 40 Jahren, ging auch mein Selbstwertgefühl, mein Glaube an meine Weiblichkeit und Erotik verloren. Ich war nur noch panisch, fühlte Kontrollverlust und fragte: ,Warum ich?‘“

Ihre Erfahrungen hat sie vor zehn Jahren in dem autobiografischen Buch „Das Glück beginnt im Kopf“ niedergeschrieben. Gleichzeitig begann sie damit, ebenfalls betroffenen Frauen auf ihrer Internetseite „Haircoaching“ Hilfe anzubieten. Jetzt ist die neue Auflage des Buches erschienen, in der sie ihre neuesten Erfahrungen mit der Krankheit und schildert, und wie sie damit fertig wurde.

„Mittlerweile habe ich zehn verschiedene Perücken, trage mal Rasta-Locken oder hüftlanges blaues Haar, Kopftuch, Mütze oder gar keine Kopfbedeckung“, sagt die selbstbewusste Frau mit einem Lächeln.

Jenny Latz hat gelernt, mit ihrer Krankheit umzugehen. Das gelang ihr am Anfang überhaupt nicht. Die Krankheit ereilte sie nach einem Schicksalsschlag, nach dem Tod ihrer Mutter. „Ich war gerade zwanzig Jahre alt, hatte meine Zeit als Teenie-Model hinter und mein Studium der Germanistik vor mir und versuchte, auf eigenen Füßen zu stehen“, berichtet sie. „Nach einem Jahr hatte ich keine Haare mehr. Ich habe sehr viele Ärzte konsultiert und alles ausprobiert. Nichts hat geholfen.“ Sie musste lernen, mit der Krankheit zu leben.

Das Fatale an der Situation: „Viele Menschen, die mich sahen, guckten mitleidig oder aggressiv, weil sie dachten, ich hätte gerade eine Chemotherapie oder gehörte der rechten Szene an.“ Hier habe es ein Problem gegeben, Aufklärung sei bis heute notwendig.

Jenny Latz hat es geschafft, die Krise in einen Erfolg umzuwandeln. „Schritt für Schritt gelang es mir, das innere Glück zurückzuerobern. Für mich als Person, im Beruf und im Engagement als Bundesvorsitzende der Selbsthilfegruppe Alopecia areata, dem Kreisrunden Haarausfall.“

Sie ist als Unternehmensberaterin und Testerin für Perücken-Prototypen tätig und mit der ganzen Welt in Sachen Kreisrundem Haarausfall vernetzt. „Ich möchte den Betroffenen Mut machen“, erklärt sie. „Glück entsteht erst, wenn man ganz zu sich selbst steht“, sagt die 58-Jährige heute.

An ihre erste „schreckliche“ Perücke aus den 80er Jahren für 2800 Mark, die sie nie trug, denkt sie amüsiert zurück. „Ich brauche heute kein Tarnkäppchen gegen den optischen Makel mehr.“ Sie ist längst bei sich angekommen.

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