Hilfe für Flüchtlinge in Kurdistan

Leyla Bilge ist Kurdin. Die Bilder von den Kämpfen in ihrer Heimat haben sie nicht ruhen lassen. Jetzt organisiert sie Hilfe.

Hilfe für Flüchtlinge in Kurdistan
Foto: privat

Krefeld. Krieg in Afghanistan, Bomben im Irak und Isis-Kämpfer, die Menschen in der Flucht vor Tod und Misshandlung hoch ins Gebirge treiben — das alles konnte Leyla Bilge irgendwann in diesem Sommer nicht mehr tatenlos ertragen. „Hier in Deutschland konnte ich aber nichts tun“, sagt die 33-jährige Kurdin. Kurz entschlossen bepackt sie einen Koffer mit Süßigkeiten und Spielsachen, stopft ihre Kleidung ins Handgepäck und fliegt in die Türkei.

An der türkisch-syrischen Grenze kümmert sich vor allem die Kurdenpartei um tausende Flüchtlinge, viele davon Jesiden, die vor den sogenannten Gotteskriegern aus Syrien ins Nachbarland geflohen sind. „Ich bin dorthin geflogen, um zu kämpfen“, sagt Leyla Bilge, und das klingt bei einer gemütlichen Tasse Kaffee an diesem feuchtkalten, typisch rheinischen Wintertag fremd, irritierend. Dass Leyla am Ende nicht ausgebildet und ins Kampfgebiet geschickt wird, liegt an ihrer Herkunft. Ihre zweite Heimat Deutschland, wohin ihre Eltern flohen, als das Mädchen etwa vier Jahre alt ist, prädestiniert sie für eine andere Art der Unterstützung: Spenden sammeln, helfen, die Versorgung der Menschen sicherzustellen.

Wie nötig das ist, sieht Leyla Bilge vor Ort. Sie, die Muslimin, trifft in Midyat jesidische Flüchtlinge in einem großen Gebäude oben auf dem Berg, in das sich rund 200 Menschen drängen. Drumherum verlassene Häuschen, Fenster und Türöffnungen provisorisch mit Decken verhangen. „Die Menschen waren gerührt, dass ich als Muslimin aus Deutschland zu ihnen komme, um ihnen, den Christen, zu helfen.“ Ihr war diese Botschaft wichtig: „Wir Moslems bringen nicht Leute um, weil sie einen anderen Glauben haben.“

Im großen Haus herrscht großes Durcheinander. Die Menschen haben Verfolgung, Tod und Flucht erlebt, Verwandte, Freunde und ihre Habe verloren, sind schockiert, hoffnungslos und voll Trauer. „Sie weinen“, sagt Leyla Bilge, fühlten sich noch wie auf der Flucht. Niemand kümmere sich um Alltägliches. „Sie sehen das Flüchtlingshaus nicht als ihr Zuhause an“, sagt Bilge. Viele verstünden gar nicht, was passiert sei.

Sie und andere Helfer versuchen in vielen Gesprächen, den Menschen deutlich zu machen, dass sie vielleicht noch Jahre in der Flüchtlingsunterkunft bleiben müssen — und Leyla Bilge beginnt, den Alltag zu organisieren. Einen Putzdienst, Unterricht für die Kinder. Und sie zeigt den Flüchtlingen, wie man die Berge von Nudeln verarbeitet, Lebensmittelspenden aus Europa, deren Zubereitung den Flüchtlingen fremd ist. Bilge zeigt, wie man Spaghetti mit Ketchup oder Eiern einfach und kostengünstig zubereitet.

Mit vielen Eindrücken kehrt Leyla Bilge zurück, füllt einen 40-Tonner des jesidischen Vereins mit Spenden und schickt ihn zu den Flüchtlingen nach Kurdistan — diesmal in den Irak. „Die Menschen dort haben gar nichts. Sie haben nur Sommerzelte als Schutz.“ Bilge hatte schon die Trauer, Verzweiflung und auch Wut der Flüchtlinge in den türkischen Lagern erlebt, was sie in den irakischen antraf, entsetzte sie. 70 000 oder 50 000 Flüchtlinge in riesigen Zeltstädten. Einen Kilometer sei sie an Zelten vorbeigefahren, und immer noch nicht am Ziel gewesen. „Im Irak sind die Leute verloren. Ich habe gedacht, ich wäre vorbereitet, aber was dort zu sehen ist, ist der Horror.“

Mitten in dem ganzen Elend sind die Kinder, verstört, verspielt, vernachlässigt. „Und es gibt viele behinderte Kinder“, sagt Leyla Bilge. Ein gelähmter Junge, der hilflos auf dem Boden liegt, weil er keinen Rollstuhl hat; vier Waisenkinder, die ihre Eltern auf der Flucht verloren haben. Psychologische und medizinische Hilfe ist rar. „Wenn einmal ein Arzt in dem Lager ist, wie sollen die Menschen das mitkriegen? Und wie soll er wiederum wissen, wo Hilfe dringend benötigt wird?“ Wichtig sei es, eine Art separaten Krankenhaustrakt einzurichten. „Sonst kommen die Hilfsmittel nie bei den Bedürftigen an“, sagt Bilge.

Erneut zurück in Deutschland, gibt sie ihrem Engagement jetzt professionelle Strukturen. Ihr Verein „Leyla — Den Stummen eine Stimme geben“ ist in der Gründung. Die erste Mitgliederversammlung habe stattgefunden, es gebe eine Satzung, einen Vorstand, ein Spendenkonto. Die Eintragung ins Vereinsregister sei im Gang, sagt die 33-Jährige. Das sei wichtig, wenn es darum gehe, verlässlich mit Spenden umzugehen. Denn Leyla Bilge will weitermachen: „Muslime verlassen Deutschland, um für den Islamischen Staat zu kämpfen. Ich will dorthin, um Flüchtlingen zu helfen.“

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